Veröffentlicht am: 23.09.2024 um 08:07 Uhr:
Zoo Berlin: Gorillas schützen mit Künstlicher Intelligenz
» In den kommenden Jahrzehnten könnten rund eine Million Tier- und Pflanzenarten von der Erde verschwinden, darunter auch der Westliche Flachlandgorilla. Angesichts dieser Bedrohung arbeiten Forschende und Naturschützende weltweit an innovativen Lösungen, um bedrohte Arten besser zu schützen. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Forschung eröffnet dabei völlig neue Möglichkeiten. In diesem Kontext stellte das Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Kooperation mit dem Zoo Berlin ein zukunftsweisendes Projekt vor, das modernste KI-Technologie nutzt, um den Westlichen Flachlandgorilla intensiver zu erforschen und seinen Schutz zu verbessern. Einer der wichtigsten Mitarbeiter in diesem Projekt: Silberrücken Sango aus dem Zoo Berlin.
Künstliche Intelligenz als Schlüsseltechnologie im Artenschutz
KI-Technologien gewinnen im Artenschutz zunehmend an Bedeutung, da sie riesige Datenmengen analysieren, Verhaltensmuster erkennen und präzise Vorhersagen treffen können. Beispielsweise werden KI-gestützte Systeme entwickelt, um Veränderungen im Ökosystem durch besenderte Geier in Echtzeit zu erfassen. Auch in der Meeresforschung kommt KI zum Einsatz, um die Wanderungen von Walen zu überwachen und Kollisionen mit Schiffen zu verhindern.
Das von Studierenden des HPI entwickelte Projekt „Gorilla Tracker“ geht einen Schritt weiter: Es entwickelt ein System, das einzelne Gorillas auf Videoaufnahmen identifizieren und über längere Zeiträume hinweg verfolgen kann. Diese Technologie ermöglicht eine präzise Überwachung der Bewegungen und Verhaltensweisen der Gorillas, frühzeitige Erkennung von Seuchenausbrüchen und zeitnahe Schutzmaßnahmen.
Trainiert hat die Projektgruppe ihr Modell auf der KI-Infrastruktur des KI-Servicezentrums Berlin-Brandenburg, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Getestet wird nun im Zoo Berlin.
Projektleiter Prof. Dr. Gerard de Melo aus dem Fachgebiet Artificial Intelligence & Intelligent Systems am HPI erklärt: „Künstliche Intelligenz kann einen bedeutenden Beitrag zum Artenschutz leisten. Durch die genaue Beobachtung der Gorillas in ihrem natürlichen Lebensraum mittels Kameras gewinnen wir wertvolle Einblicke in ihr Verhalten. Die gesammelten Daten nutzen wir, um unsere KI-Modelle zu trainieren und somit gezielt auf Seuchenausbrüche zu reagieren. Dies unterstützt sowohl unser Team als auch die Forschenden im Odzala-Nationalpark in der Republik Kongo. Wir sind dem Zoo Berlin dankbar für die Möglichkeit, diese Technik hier zu testen und weiterzuentwickeln.“
Ein Projekt von globaler Relevanz
Der Ebola-Ausbruch Anfang der 2000er Jahre, der erhebliche Verluste in den Gorilla- und Schimpansenpopulationen verursachte, verdeutlicht die Notwendigkeit solcher Technologien. KI könnte in vergleichbaren Situationen lebensrettend sein, indem sie schnelle Identifikation und Überwachung ermöglicht, um frühzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen und die Ausbreitung von Krankheiten zu stoppen. Dies ist auch von großer Bedeutung für den Menschen, da Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, wie Ebola oder COVID-19, erhebliche Auswirkungen auf den Menschen – sowohl lokal als auch global – haben können.
Dr. Andreas Knieriem, Direktor von Zoo und Tierpark Berlin, hebt hervor: „Westliche Flachlandgorillas sind vom Aussterben bedroht, ihre Population ist in den letzten 70 Jahren um fast 80 Prozent geschrumpft. Es besteht dringender Handlungsbedarf und wir unterstützen jede Initiative, diese beeindruckenden Tiere zu schützen. Moderne zoologische Institutionen wie der Zoo Berlin spielen eine zentrale Rolle im Artenschutz und ich bin stolz darauf, dass unsere Gorillas in diesem Projekt einen wertvollen Beitrag leisten können.“ Innerhalb der von den installierten Kameras aufgezeichneten Bilder sucht die KI zunächst nach Gorillas und deren Gesichtern. Ein speziell trainiertes neuronales Netz analysiert die spezifischen Gesichtsmerkmale und erstellt daraus einen digitalen Fingerabdruck. Dieser digitale Fingerabdruck kann dann (numerisch) zwischen den verschiedenen Bildern verglichen werden und dem jeweiligen Tier zugeordnet werden, zum Beispiel Gorillamännchen Sango.
Der Gorilla Tracker hat das Potenzial, als Modell für andere Primatenarten zu dienen. Durch die Kombination großer Datensätze könnte das entwickelte System auch auf andere Primaten angewendet werden und so die globale Primatenforschung revolutionieren.
Das auf Deep Learning und Computer Vision basierende Modell wird schnelle Identifikationen ermöglichen und zeitnah Maßnahmen wie Impfungen bei Seuchenausbrüchen unterstützen. Dies könnte nicht nur die Arbeit von Forschenden und Naturschützenden erheblich erleichtern, sondern auch entscheidend zum Überleben der Gorillas beitragen.
Die Gorillas im Zoo Berlin – Sango, Bibi, Djambala, Mpenzi, Fatou und das Jungtier Tilla – sind sich ihrer bedeutenden Rolle für die moderne Wissenschaft und den Schutz ihrer bedrohten Artgenossen vermutlich nicht bewusst. „Unsere Gorillas sind zunächst wichtige Botschafter ihrer Verwandten. Mit Tilla und unserer gesamten Gorillagruppe erreichen wir die Herzen von Millionen Menschen. Wenn es uns gelingt, insbesondere die junge Generation für den Schutz der Gorillas zu sensibilisieren, dann haben wir einen kleinen Etappensieg erreicht“, erklärt Knieriem. Die Datenerfassung durch die drei auf den Außenanlagen installierten Kameras wird voraussichtlich bis Ende September abgeschlossen sein.
Hintergrund: Westliche Flachlandgorillas
Westliche Flachlandgorillas werden von der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) als „critically endangered“ eingestuft. Sie sind die größten und schwersten Menschenaffen der Welt. Ein ausgewachsenes Männchen kann aufrecht bis zu zwei Meter groß werden und etwa 220 Kilogramm wiegen. Sie leben in Familienverbänden, die von einem Silberrücken, einem Männchen mit silbergrauem Rückenfell, angeführt werden. Schätzungen zufolge gibt es derzeit etwa 300.000 Westliche Flachlandgorillas in Afrika, wobei die Population stark rückläufig ist. Über die Hälfte der Tiere lebt in der Republik Kongo. Die Rückgänge sind hauptsächlich auf Lebensraumverlust durch Abholzung und Landwirtschaft, Wilderei sowie Krankheiten zurückzuführen, die durch den Kontakt mit Menschen übertragen werden. «
Quelle: Pressemitteilung des Zoo Berlin vom 5. September 2024