Veröffentlicht am: 27.10.2024 um 21:31 Uhr:

Bundesregierung: Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier beim Besuch der German International University (GIU) in Kairo

Beim Besuch der German International University (GIU) in Kairo hat Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier am 12. September 2024 folgende Rede gehalten

» Vor 25 Jahren programmierte ein Japaner 176 kleine Bilder, die man zusätzlich zu den – die Älteren erinnern sich – damals noch zahlenmäßig begrenzten Schriftzeichen in einer SMS verwenden konnte. Inzwischen gibt es mehr als 3.000 dieser Bildschriftzeichen. Sie sind aus unserer digitalen Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Ich würde wetten, dass fast jeder hier im Raum heute schon mal eins verschickt hat. Denn inzwischen werden täglich weltweit etwa sechs Milliarden davon in Nachrichten eingebaut.

Nun mag der Sinn mancher Innovation sich nicht allen und sofort erschließen. Aber Emojis sind mittlerweile viel mehr als Zeitgeist. Sie sind eine Art Kulturtechnik geworden, die uns im digitalen Kommunikationszeitalter tatsächlich hilft, Zustimmung, Ablehnung, Zweifel, sogar Gefühle auszudrücken – und das über alle Sprach- und Landesgrenzen hinweg.

Es gibt eine noch viel ältere Bilderschrift, die man auch auf der ganzen Welt kennt. Sie ahnen es schon, ich spreche von den Hieroglyphen. Diese alten Symbole – aufgemalt auf die Wände ägyptischer Tempel, gezeichnet auf Papyrus –, sie mögen nicht Smartphone-kompatibel sein. Aber seit Jahrhunderten blicken Menschen aus der ganzen Welt voller Staunen auf diese reiche Bildersprache, die hier in Ihrem Land entstanden ist, als an vielen Orten der Welt über Schrift noch nicht nachgedacht wurde. Gestern, als wir die Pyramiden von Sakkara besuchten, habe ich wieder diese ganz besondere Faszination gespürt, die von diesen Zeichenfolgen ausgeht. Es ist die Faszination der Verständigung, des sozialen Austauschs.

Menschen suchen also schon immer nach Wegen, sich ihrem Gegenüber mitzuteilen, ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihre Geschichten und auch Emotionen miteinander zu teilen. Denn Austausch ist die Voraussetzung für gegenseitiges Verstehen, auch für das Entstehen neuer Ideen, fürs gemeinsame Weiterkommen und auch – das muss ich Ihnen hier an der Universität gar nicht sagen – für Wissenschaft, Lehre und bahnbrechende Innovation.

Schon bei meinem ersten Besuch in Ägypten vor vielen, vielen Jahren hat mich beeindruckt, wie sehr man spüren kann, was auch in dem Begriff Umm ad-Dunia – „Mutter der Welt“ – zum Ausdruck kommt: Ägypten, Wiege der Zivilisation, lebt zugleich von seinem reichen Erbe auf der einen Seite, aber eben auch von der ungeheuren Kraft der Innovation. Ägypten hat eines der ältesten Gesundheitssysteme der Welt, eine der ältesten noch existierenden Universitäten. Es war das erste Land mit einer eigenen nationalen Währung. In den hiesigen Labors entdeckte Robert Koch, ein Deutscher, entscheidende Hinweise für die Bekämpfung der Cholera. Kurzum: In unzähligen zivilisatorischen Bereichen ging von Ägypten ein Impuls aus, der die Welt veränderte, der sie bereicherte, der sie zu einer klügeren, einer besseren machte.

Ich möchte aber in diesem modernen, gläsernen Hörsaal natürlich nicht nur über Vergangenheit sprechen. Ich möchte über das sprechen, was ist – und das, was werden kann. Und wo könnte ich das besser als hier auf diesem neuen Campus in Kairo. Die ägyptische Hauptstadt hat viele Gesichter. Mancher nennt Kairo „die Stadt, die niemals schläft“. Mich beeindruckt die so lebhafte Verbindung von Tradition und Moderne, wie zum Beispiel das Zusammentreffen der uralten Baukunst Ägyptens mit der modernen Architektur, die wir hier rings um den Campus in der neuen Verwaltungshauptstadt sehen können.

So wie Ägypten ein reiches, faszinierendes kulturelles Erbe hat, so verfügt es auch über einen großen Schatz für die Zukunft: Es sind seine Menschen. Ihretwegen kann Großes entstehen, können Impulse in die ganze Welt hinausgehen. Denn eines spüre ich hier in Ägypten: Es sind die schöpferische Kraft, die Neugier und Kreativität, hier am Nil neue Dinge zu erdenken und entstehen zu lassen.

„Think big“ – das könnte das Motto der Ägypter sein. Doch es braucht weit mehr als Prestigeprojekte der Superlative, um Zukunft zu bauen. Damit sich Gesellschaften entwickeln und weiterentwickeln können, braucht es aus meiner Sicht drei Dinge: Bildung, eine gute Wirtschaft und ein Leben in Frieden und Freiheit. Lassen Sie mich diese drei Punkte kurz ausführen:

Für die Zukunft jedes Landes ist es entscheidend, möglichst vielen Kindern und Jugendlichen Zugang zu hochwertiger Bildung zu ermöglichen. Die Beziehungen unserer Länder im Bildungsbereich sind traditionell eng und intensiv. Das Interesse an Bildung und Wissenschaft ist ungebrochen hoch – auch an der Sprache meines Landes. Obwohl sie so schwierig ist, lernen doch mehr als 400.000 Ägypterinnen und Ägypter deutsche Vokabeln und Grammatik – auch viele von Ihnen. Erst gestern habe ich die Deutsche Schule der Borromäerinnen in Kairo besucht, die in diesem Jahr ihr 120-jähriges Bestehen feiert – nicht nur ein inspirierender Ort, sondern ein Ort mit wunderbaren, mutigen und neugierigen Kindern. Ich bin überzeugt: Die Grundlage für eine gute wirtschaftliche und eine friedliche und fortschrittliche gesellschaftliche Entwicklung sind gebildete, selbstbewusste, kritische Menschen, die ihre Begabungen und Fähigkeiten frei entfalten können und die dabei auch das Wohl der gesamten Gesellschaft im Blick haben.

Hier in Ägypten weiß man um die Kraft, die in guter Bildung steckt. Und man weiß um die Kraft der Verständigung, des Austauschs, die die Voraussetzung ist, um immer wieder zu guten Lösungen, zu besserem Miteinander, im besten Fall zu einem Zusammenleben in Frieden und Freiheit zu kommen.

Ihr Landsmann, der ägyptische Schriftsteller Nagib Mahfuz, hat 1988 schon in seiner Rede zum Literaturnobelpreis in wunderbarer Weise gesagt: Trotz allem, was um uns herum geschieht, werde ich bis an mein Lebensende Optimist bleiben, sagte er. Ohne den täglichen Sieg des Guten hätten [unsere Vorfahren] ebenso wenig überlebt, wie die Menschheit sich hätte weiterentwickeln, Staaten errichten, sich ausbreiten, Erfindungen machen, den Kosmos erobern und die Menschenrechte verkünden können. Mahfuz folgte in seinen Texten einem humanistischen Menschenbild. Er glaubte an die Kraft der Gesellschaft und der Demokratie. Er wusste: Was Länder entwickelt, ist das soziale Gewebe. Und für das braucht es Bildung und gleichzeitig innere und äußere Freiheit.

Ich bin froh, dass deutsche Bildungsinstitutionen in Ägypten einen exzellenten Ruf genießen. Mit dem Abkommen im Bereich Hochschulbildung und Forschung, das wir heute unterzeichnen, bauen wir darauf auf und wollen die Freiheit der Wissenschaft stärken. Und ich freue mich, dass wir dafür heute hier an der German International University sind. Die German International University ist schon jetzt ein zentraler Pfeiler unserer Wissenschaftskooperation. Und auch ganz praktisch wird hier an der Zukunft gearbeitet. Hier wird gelehrt, geforscht und entwickelt – in der Robotik genauso wie in der Elektrotechnik. Wir haben es beim Rundgang über den Campus an einigen Stellen sehen können.

Aber ich weiß, dass es viele, viele weitere Bereiche gibt, an denen Sie arbeiten. Es ist beeindruckende Forschung wie etwa in die Straße eingelassene Metallspiralen, die das Elektroauto während der Fahrt aufladen sollen, oder die Entwicklung neuer Fabriken mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz. Die Begeisterung für technologische und wirtschaftliche Entwicklung, für Nachhaltigkeit und Energieeffizienz teilen wir Deutschen mit den ägyptischen Forschenden.

Und das bringt mich zum Punkt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wir schauen uns später noch den Siemens Mobilityfernbahnhof hier in der neuen Hauptstadt an, ein Großprojekt in beiderseitigem Interesse. Deutschland ist der größte europäische Handelspartner Ägyptens und sein viertgrößter weltweit. Auch darum ist uns die wirtschaftliche Entwicklung des Landes besonders wichtig. Ägypten hat mit seinen vielen jungen Menschen ein enormes Potenzial, eine große Dynamik. Ja, die Herausforderungen sind in der Tat groß – Inflation und auch Jugendarbeitslosigkeit. Aber ich bin überzeugt: Für motivierte und gut ausgebildete junge Leute wie Sie gab es nie so viele Chancen wie heute, auch bei uns in Deutschland. Hier an der GIU rüsten Sie sich mit dem nötigen Wissen. Und es bieten sich Ihnen hervorragende Chancen.

Bildung und wirtschaftliches Wachstum tragen zum sozialen Frieden im Land bei. Für die Entwicklung eines Landes braucht es aber noch etwas, und das ist mein dritter Punkt, nämlich äußere Sicherheit, Frieden in der Region. Auch hier arbeiten Deutschland und Ägypten eng zusammen. Unsere gemeinsamen Interessen in vielen Fragen der Außenpolitik verbinden uns. Ägypten ist ein wichtiger Partner, ein Vermittler, auch im Nahen Osten. Und dabei verfolgen wir drei gemeinsame Ziele: das Leiden in Gaza endlich zu beenden, ein Abkommen über einen Waffenstillstand zu erreichen und ebenso die Freilassung der Geiseln und viertens, bei alledem eine Eskalation in der gesamten Region zu verhindern. Darüber habe ich mich gestern mit Ihrem Präsidenten ausgetauscht.

Austausch, das Bedürfnis nach Verständigung ist etwas, was alle Zeit überdauert. Das zeigen uns die Hieroglyphen. Und das zeigen uns heute, wenn ich das mit einem kleinen Smiley sagen darf, auch die Emojis. Wenn wir im Gespräch bleiben, wenn wir versuchen, die Zeichen unseres Gegenübers zu deuten, wenn wir gemeinsam lernen und Neues entwickeln, dann sind wir auf dem richtigen Weg in eine friedlichere Welt. «


Quelle: Bulletin 83-1 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 18. September 2024

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