Veröffentlicht am: 28.01.2025 um 11:05 Uhr:

Bundesregierung: Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises

Bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises am 27. Oktober 2024 in Mainz hat Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier folgende Rede gehalten...

» Zum achten Mal darf ich bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises dabei sein – zum siebten Mal vor Ort. Einmal haben wir uns wegen Corona nur per Video gesehen. Und ob Sie es glauben oder nicht: Ich freue mich jedes Mal wieder von Neuem darauf, also auch heute – nicht nur, weil ich, wie heute, viele bekannte Gesichter hier im Saale sehe. Ich freue mich auch immer darauf, wieder neue, sehr kluge, sehr ideenreiche und sehr weitblickende Wissenschaftlerinnen, Forscher und Unternehmerinnen kennenzulernen – nicht nur, aber gerade auch bei den Preisträgerinnen und Preisträgern –, Menschen also, die durch ihre Kreativität und ihr energisches Anpacken von Problemen, durch ihre oft auch überraschenden Lösungsvorschläge unersetzliche Beiträge zu den großen Herausforderungen leisten, vor denen wir alle miteinander stehen: Wie wir Klimawandel und Biodiversitätsverlust so entgegentreten, dass unser Land, unser Kontinent Europa, ja die Welt nicht einer unausweichlichen Klima- und Umweltkatastrophe entgegengehen, sondern dass wir auch in Zukunft in einer lebenswerten Welt leben können.

Mich begeistert die Verleihungszeremonie des Deutschen Umweltpreises jedes Mal auch deshalb, weil ich unter Ihnen eine so intelligente wie pragmatisch orientierte, unideologische, auf Lösungen abzielende Einstellung bewundere und eine im Grunde ja auch optimistische, mutige, weil an den Erfolg glaubende Einstellung. Die Sache selber, der Umweltpreis, ist ja jedes Mal für sich genommen schon eine positive Botschaft: Wir – genauer gesagt: die Bundesstiftung Umwelt mit ihrem Kuratorium – würden ihn nicht vergeben, wenn nicht alle überzeugt wären, dass all die gebündelten Bemühungen, all die unterschiedlichen Ansätze zusammen auch wirklich zum Erfolg führen können.

Diese Einstellung habe ich auch bei der „Woche der Umwelt“ im vergangenen Juni im Park von Schloss Bellevue wieder einmal kennen- und schätzen lernen dürfen. Viele von Ihnen werden dort gewesen sein, denn die Bundesstiftung Umwelt ist dort nicht nur eine unverzichtbare Verbündete, sondern auch Mitveranstalterin. Die Botschaft von insgesamt 190 Ausstellern, die wir dort hatten, war auch dort: Die Zukunft, über die wir reden, ist keine ferne Utopie, sondern sie findet an vielen Orten unseres Landes schon statt. Wenn wir heute eine Preisträgerin und einen Preisträger mit ihren wichtigen und bahnbrechenden Ideen besonders herausstellen, dann wissen wir auch: Es gibt längst eine große Gemeinschaft derer, die mit ihren Ideen, mit ihren Praktiken und Forschungen dazu beitragen, dass wir handeln können. Wir sind der Klimakrise nicht hilflos ausgeliefert. Wir können die Erderwärmung und das Artensterben bremsen. Und wir können den ökologischen Umbau gerecht gestalten – bei uns in Deutschland, in Europa und hoffentlich auch weltweit. Wir können das dank der vielen, die sich hier mit Herz und Verstand einsetzen. Dafür sind wir dankbar. Und miteinander in diesem Saal können wir darauf durchaus auch ein bisschen stolz sein.

Die Herausforderungen des menschengemachten Klimawandels durchleben wir alle zum ersten Mal. Deshalb darf es uns nicht erstaunen: Es gibt kein erprobtes Muster und auch keinen Masterplan, wie wir unsere Ressourcen und unseren Lebensraum schützen. Das ist der Grund dafür, warum wir im Bereich von Umwelt- und Klimaschutz – nach meinem Eindruck zumindest – überproportional oft auf Pioniere und Avantgardisten treffen, auf mitunter eigensinnige Individualisten, die eine noch neue, nicht allen sofort einleuchtende Erkenntnis für sich entdeckt haben und versuchen, sie so konsequent wie möglich in die Tat umzusetzen.

Um mit ihren Ideen auch durchzudringen, dafür brauchen diese Pioniere öffentliche Zustimmung und Akzeptanz. Sie können ja ihre großartigen und zielführenden Vorstellungen nicht einfach dekretieren. Auch sie stehen im Wettbewerb der Ideen und Meinungen, der für die Demokratie und die freiheitliche Gesellschaft kennzeichnend und unverzichtbar ist. Und ich bleibe und bin davon überzeugt: Es ist eine Stärke des demokratischen Prozesses, dass wir die Zukunft auf der Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen planen und gestalten können und dabei den oft visionären Pionieren die Gelegenheit geben können, ihre Ergebnisse zu verifizieren und, wenn sie sich bewähren, für uns alle nutzbar zu machen.

Es ist zudem die Stärke der Demokratie, Sackgassen, Schwachpunkte und Fehler, die auf dem unbekannten Weg zu einem umfassenden und nachhaltig wirksamen Klima- und Umweltschutz unvermeidlich sind, immer wieder zu korrigieren. Und nur in einer Demokratie können wir schließlich aushandeln, wie schnell und wie entschieden wir diesen oder jenen Weg gehen wollen – genauer gesagt: gehen müssen – und welcher Ausgleich fairerweise für diejenigen notwendig ist, die vor gravierenden Umbrüchen stehen und diese nicht so leicht stemmen können wie andere. Dieser Ansatz – ich sage das bewusst in dieser Zeit – wird dem Populismus und der Willkür einer Autokratie immer überlegen bleiben. Es gibt keine Rechtfertigung für eine neue Faszination des Autoritären, die gerade um sich greift in unserem Land. Vertrauen wir der Demokratie! Und stärken wir sie durch unser Engagement. Jede und jeder Einzelne trägt Verantwortung dafür.

Ich bin dankbar, dass wir heute zwei Preisträger ehren, für die diese Verantwortung so etwas wie Berufung ist: Frau Franziska Tanneberger und Herrn Thomas Speidel. Ihnen vorab schon einmal meinen persönlichen Glückwunsch und den Glückwunsch des ganzen Saales für diese Auszeichnung heute! Ihre Forschungs- und Praxisfelder könnten unterschiedlicher kaum sein. Und doch könnten sich die Projekte beider als sehr wirksam im Kampf gegen die Klimakatastrophe und für die Biodiversität erweisen. Sehr verkürzt gesagt geht es bei dem einen um neue Mobilität und bei der anderen um eine neue, nachhaltige Stabilität.

Thomas Speidel stammt aus Stuttgart und damit aus dem deutschen Südwesten, aus dem mit Carl Benz und Gottlieb Daimler zwei der visionärsten deutschen Erfinder, Tüftler und Unternehmer stammen, die nicht nur den Badenern und Württembergern, sondern der ganzen Welt eine individuelle Mobilität ermöglicht haben, die diese Welt verändert hat. Der klassische Verbrennungsmotor, auf dem diese Mobilität beruhte, wird an sein Ende kommen. Mit Blick auf die klimaverändernden CO2-Emissionen durch Pkw- und Lkw-Verkehr kann daran kein vernünftiger Zweifel bestehen. Aber wie schnell Elektromobilität flächendeckend Wirklichkeit wird, hängt davon ab, ob wir Mittel und Wege finden, die noch bestehenden technischen und faktischen Hindernisse im Alltag zu überwinden.

Eine der großen Schwierigkeiten der elektrischen Energiezufuhr besteht in dem noch mangelnden flächendeckenden Angebot, vor allem im ländlichen Raum, und eine andere – damit verbunden – in der Dauer, die das „Auftanken“ mit Strom, wenn man so sagen darf, erfordert. Hier hat Thomas Speidel, der seine Unternehmensstrategie – gegen manche Ratschläge, wie ich gehört habe – schon vor über einem Jahrzehnt auf Elektromobilität umgestellt hat, eine Lösung gefunden. Er hat – ich sage es verkürzt, weil wir nachher ja noch mehr dazu hören werden –, er hat eine Möglichkeit gefunden, wie man in kürzester Zeit sein Elektroauto aufladen kann, und zwar auch an Orten, die nicht über ein ausgebautes Stromnetz für die Ladeinfrastruktur verfügen. Seine sogenannte Charge-Box zapft in aller Ruhe das normale Stromnetz an und gibt dann im Moment des Aufladens in einem großen Rutsch eine so große Menge gesammelten Stroms ab, dass ein Auto in ungefähr zehn Minuten wieder aufgeladen ist.

Interessant finde ich, dass Thomas Speidels Charge-Box ungefähr den Raum einer klassischen Telefonzelle, wie ich gehört habe, benötigt. Telefonzellen waren ja einst – die Älteren werden sich noch erinnern – eine flächendeckende Institution zur raschen Kommunikation. Und an den deutschen Telefonzellen hing über Jahrzehnte ein Spruch, den manche noch kennen: „Fasse dich kurz!“ Es scheint, als hätte dieser Spruch in den elektronischen Tankzellen Thomas Speidels eine neue positive Bedeutung gewonnen, die vielleicht viele dazu motivieren kann, auf Elektromobilität umzusteigen. Carl Benz und Gottlieb Daimler hätten jedenfalls wohl nichts dagegen. Auch Zeitersparnis ist, wie ich vermute, eine schwäbische Tugend.

Telefonzellen fand man, wie gesagt, einst überall im Land – ganz sicher aber in einer Landschaft nicht, nämlich im Moor. Von hier aus war keine Kommunikation in andere Gegenden möglich. Das Moor war überhaupt eine oft wenig geschätzte Landschaft, obwohl weite Regionen Deutschlands einst davon geprägt waren, samt der dort herrschenden Flora und Fauna. Franziska Tanneberger wird es sicher wissen: Über Flüsse und Wiesen, über Felder und Flure, über Berge und Bäche, über Küsten und Inseln, über all das gibt es viele der schönsten deutschen Gedichte und Lieder, ganze Erzählungen und Romane. Das Moor ist viel seltener ein Thema. Den meisten von uns fallen dazu, wenn überhaupt, die eher düsteren, wenn auch großartigen Zeilen der westfälischen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff ein: „O schaurig ist‘s übers Moor zu gehen […] Ja, im Geröhre war‘s fürchterlich.“ Das Moor ist also, wo es beschrieben wird, eine eher unheimliche Landschaft – gruselig und gefährlich für Menschen, die sich hineinwagen. Und vielleicht hat es auch damit zu tun, mit dieser tief sitzenden, in unsere Seelen eingeprägten Vorstellung, dass die Moore lange wenig wertgeschätzt, leichthin geopfert, trockengelegt und landwirtschaftlicher Nutzung zugeführt wurden.

Wenn sich also jemand wie Franziska Tanneberger heute dem Projekt der Wiedervernässung der Moore widmet, weil dadurch in großem Umfang C02 gebunden und nicht mehr, wie früher, durch Trockenlegung freigesetzt wird, dann muss sie sich nicht nur mit ökonomischen Interessen der Landwirtschaft auseinandersetzen, die auf das Land „unter dem Pflug“ verzichten soll, sondern auch mit einigen der uralten Befürchtungen und Ängste. Franziska Tanneberger arbeitet aber nicht an einem romantischen Projekt, sondern sie kann mit konkreten und nachrechenbaren Zahlen aufwarten, wie bedeutend intakte Moore für ein gutes Klima und wie wichtig sie für Biodiversität sind und dass sich manches auch ökonomisch auszahlen kann.

Franziska Tanneberger ist für unser Land in vielen internationalen Institutionen tätig. Und sie ist hoch anerkannt für ihre Arbeit für die ökologisch bedeutsame Rettung oder Wiederherstellung von Mooren und Moorlandschaften. Wir werden das im Einzelnen gleich noch hören. Auf jeden Fall wären wohl viele nie darauf gekommen, welch segensreiche Bedeutung die unheimlichen Moorlandschaften unserer kindlichen Albträume für unser Klima und unsere sensible Umwelt haben.

So lernen wir immer wieder dazu – wie jedes Jahr beim Deutschen Umweltpreis. Und so werden wir immer wieder überrascht von dem, was möglich ist, um für Klima und Biodiversität etwas zu tun. Für vieles allerdings braucht es keine Experten. Von vielem, was wir in unserem Alltag tun können, wissen wir längst, was wir zu tun oder zu lassen haben. Lassen Sie uns alle das tun, was wir können! Und lassen Sie uns die Experten, die noch mehr wissen und uns über neue Wege und Lösungen aufklären, heute preisen und uns darüber freuen, dass sie für unser aller Bestes denken und arbeiten. «


Quelle: Bulletin 103-3 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 28. Oktober 2024

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