Veröffentlicht am: 13.05.2025 um 13:42 Uhr:

Bundesregierung: Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz beim Großen Zapfenstreich zu Ehren seiner Verabschiedung

Beim Großen Zapfenstreich zu Ehren seiner Verabschiedung hat Bundeskanzler Olaf Scholz am 5. Mai 2025 in Berlin folgende Rede gehalten

» Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrte Präsidentinnen des Bundestags und des Bundesrats,
Exzellenzen,
sehr geehrter Herr Verteidigungsminister, lieber Boris,
liebe Soldatinnen und Soldaten und Zivilbeschäftigte der Bundeswehr,
meine Damen und Herren,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Es liegt in der Natur des Großen Zapfenstreichs, dass er einen Abschied markiert, einen Moment des Innehaltens, geprägt vom Rückblick auf Erreichtes. Bei diesem Blick zurück spüre ich vor allem eine tiefe Dankbarkeit, Dankbarkeit gegenüber vielen von Ihnen und Euch, die heute Abend hier sind, Weggefährtinnen und Ratgeber, Kolleginnen und Freunde, die mich in den zurückliegenden Jahren begleitet und unterstützt haben. Von Herzen vielen Dank dafür!

Dankbarkeit empfinde ich auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, die diesen Großen Zapfenstreich vorbereitet haben und ausrichten, und gegenüber allen, die unserem Land in der Bundeswehr dienen und dafür große persönliche Risiken in Kauf nehmen. Was dieser Dienst bedeutet, geht im hektischen Regierungsalltag vielleicht manchmal unter. Daher stelle ich den Dank dafür heute an den Beginn meiner Worte.

Dankbarkeit empfinde ich auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes. Nicht der Bundespräsident, die Bundestagspräsidentin oder der Bundeskanzler entscheiden letzten Endes über den politischen Kurs unseres Landes, sondern Sie, die Bürgerinnen und Bürger, als unser Souverän. Nur wenn Sie Vertrauen haben in die Demokratie und ihre Vertreterinnen und Vertreter, kann diese Demokratie gelingen. Dieses Vertrauen zu verdienen, war stets die Triebfeder meines politischen Engagements. Ihrem Vertrauen gerecht zu werden, vernünftig und verantwortungsvoll zu handeln, das ist und bleibt der Maßstab, den ich an meine Arbeit anlege. Dieses Vertrauen über drei Jahrzehnte hinweg erhalten zu haben – als Bürgermeister meiner Heimatstadt, als Minister in Land und Bund, schließlich als Ihr Bundeskanzler und als frei gewählter Abgeordneter, zunächst eines westdeutschen und später eines ostdeutschen Wahlkreises –, erfüllt mich mit Freude und Demut.

Eines war dabei von Beginn an klar: In einer Demokratie werden Ämter immer nur auf Zeit verliehen. Das unterscheidet uns von den Autokratien weltweit. Insofern ist der nun anstehende Regierungswechsel Ausdruck demokratischer Normalität. Zugleich ist es in diesen Zeiten eben keineswegs normal, dass sich ein solcher Wechsel so zivilisiert, so kollegial und so anständig vollzieht, wie wir das in diesen Tagen hier in Deutschland erleben. Diesen zivilen Umgang unter Demokratinnen und Demokraten gilt es zu schützen und zu bewahren, denn er ist kostbar.

Natürlich bedeutet Demokratie nicht, dass alle immer einer Meinung sind. Die Auseinandersetzung über den richtigen Weg gehört zwingend zur Demokratie. Zugleich braucht die Demokratie ein grundlegendes Verständnis von Solidarität untereinander, ein Verständnis von Gemeinsamkeit, die wir trotz unserer unterschiedlichen Ansichten, Herkunft und Überzeugungen in unserem Land teilen und wonach Deutschland dann – und nur dann – stark ist, wenn wir es zusammenhalten. Oft heißt es, dieses Verständnis von Gemeinsamkeit zerbröckele zusehends. Die Fliehkräfte seien einfach zu stark. Ja, dieses Risiko dürfen wir nicht unterschätzen.

Und doch haben die vergangenen Jahre auch gezeigt: Gerade in Krisenzeiten steht unser Land zusammen und wächst dadurch über sich hinaus. Ich habe erlebt, wie Nachbarn und Freunde während der Coronapandemie aufeinander achtgegeben haben, wie Ärzte und Krankenschwestern bis zur Erschöpfung und darüber hinaus um jedes Menschenleben kämpfen. Ich habe ein Land erlebt, in dem eine Wissenschaftlerin und ein Wissenschaftler mit Migrationsgeschichte die weltweit erste Impfung gegen diese furchtbare Krankheit entwickelt haben. Ich habe Frauen und Männer besucht, die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bei sich zu Hause aufgenommen haben, über Nacht, von heute auf morgen. Ich habe mit Lehrern, Bürgermeisterinnen und Vereinen gesprochen, die sich um die Integration von Hunderttausenden Neuankömmlingen gekümmert haben, oft am Limit ihrer Kräfte. Ich habe erlebt, wie ein Land zusammengerückt ist und Energie gespart hat, als uns im Winter 2022/23 im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter auszugehen drohten. Ich habe Ingenieurinnen, Lokalpolitiker und Bauarbeiter getroffen, die innerhalb weniger Monate neue Flüssiggasterminals, Leitungen und Speicher geplant und gebaut haben.

Ich habe mit Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gesprochen, die mir mit tiefer Überzeugung gesagt haben: Ja, wir wollen unser Land und unsere Freiheit verteidigen, gerade jetzt, gerade in dieser Zeitenwende! Ich habe mit Ersthelferinnen und Ersthelfern gesprochen, die an Orten wie Magdeburg oder Solingen – im Auge des Schreckens – selbstlos anderen geholfen haben. Ich habe in überschwemmten Häusern und Straßen gestanden und gesehen, wie Polizisten, Feuerwehrleute und ganze Dörfer mit anpacken, wenn anderen das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht. Ich habe junge Leute getroffen, die sich für mehr Klimaschutz engagieren, für globale Gerechtigkeit, für ein Deutschland ohne Rassismus und Antisemitismus und die so gar nichts zu tun haben mit dem Zerrbild einer Generation von Egoisten.

Ja, Deutschland muss in vielem anders werden: moderner, schneller und zupackender. In einer Zeit des Umbruchs haben wir dafür in den zurückliegenden Jahren ein Fundament gelegt. Aber vergessen wir bei aller berechtigten und notwendigen Kritik an den bestehenden Verhältnissen nicht, welch ein Glück darin liegt, dass wir als weltoffenes Land Freunde haben – in Europa und auf der ganzen Welt. Vergessen wir nicht, welche Kraft in Deutschland steckt, wenn es zusammenhält!

Diesem Deutschland als sein Bundeskanzler zu dienen, das war und das bleibt die Ehre meines Lebens. Ich habe diese große Verantwortung immer gern getragen und spreche das auch deshalb aus, weil man das einem Norddeutschen wie mir vielleicht nicht immer gleich im Gesicht ablesen kann.

Sehr geehrter Herr Merz, für alle Aufgaben und Herausforderungen, die künftig vor Ihnen und Ihrer Regierung liegen, wünsche ich Ihnen viel Erfolg, Fortune und eine glückliche Hand! In schweren Stunden, die es sicherlich ebenfalls geben wird, wünsche ich Ihnen Begegnungen, aus denen Sie Kraft und Zuversicht schöpfen können, Begegnungen, wie ich sie immer wieder hatte, mit Bürgerinnen und Bürgern landauf und landab, die sich für andere einsetzen, die Zusammenhalt über Spaltung stellen. Ein Land, das solche Bürgerinnen und Bürger hat, muss keine Angst vor der Zukunft haben. Ein solches Land kann seine Zukunft mit begründeter Zuversicht selbst gestalten. Und das sollten wir auch tun.

Schönen Dank! «


Quelle: Bulletin 29-5 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 8. Mai 2025

Weitere Artikel zum Thema Bundesregierung, die Sie auch interessieren könnten...

Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentages

Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier bei einem Festakt zum 70. Jahrestag des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zur Nato

Starke deutsch-polnische Partnerschaft in der Mitte Europas

80 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges

Kulturstaatsminister Weimer sichert dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Schuster volle Unterstützung im Kampf gegen Antisemitismus zu