Veröffentlicht am: 08.06.2025 um 14:06 Uhr:

Bundesregierung: Rede der Bundesministerin für Wirtschaft und Klimaschutz, Katherina Reiche, bei der Aussprache zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag

Bei der Aussprache zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag hat die Bundesministerin für Wirtschaft und Klimaschutz, Katherina Reiche, am 16. Mai 2025 nachfolgende Rede in Berlin gehalten

» Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Viel hängt von der Wirtschaft ab: unsere Innovationsstärke, unsere Innovationskraft, Beschäftigungschancen, aber auch Resilienz und Verteidigungsfähigkeit. Wirtschaft, das heißt Wohlstand und Sicherheit.

Aber Fakt ist: Uns droht ein drittes Rezessionsjahr. Wir sind in der längsten Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Produktion energieintensiver Industrien ist seit 2022 um rund 20 Prozent zurückgegangen. Wir haben eine Insolvenzwelle, wir haben Fachkräftemangel. Und viele im Mittelstand sind gezwungen, zu verkaufen, aufzugeben, weil die Rezession ihnen die Luft abschnürt.

Unternehmen investieren, ja, aber auch im Ausland, oder sie konsolidieren in Deutschland. Deshalb müssen wir uns ernsthaft die Frage stellen: Hat Deutschland das Wachsen verlernt? Es gibt jedenfalls einige Stimmen in diesem Land, die sich genau das wünschen, die einer Deindustrialisierung das Wort reden – Stichworte „Degrowth“ und „Suffizienz“ –, die sagen: „Wachstum schade“. Aber egal wie laut diese Stimmen rufen: Sie haben keine Mehrheit – nicht in diesem Haus und auch nicht in der Bevölkerung.

Wir brauchen Wachstum. Aber dafür muss man etwas tun; denn Wachstum kommt nicht von allein. Wachstum bleibt auch nicht, wenn man sich nicht kümmert. Wachstum ist kein abstraktes Konzept, und Wachstum ist viel mehr als eine aggregierte volkswirtschaftliche Größe. Wachstum ist der Antrieb für Millionen von Menschen jeden Tag. Menschen wollen wachsen: persönlich wachsen, über sich hinauswachsen, weiterkommen, etwas erreichen, erfolgreich sein, ein gutes Leben führen.

Wachstum heißt, nach Arbeitslosigkeit wieder in Beschäftigung zu kommen. Wachstum heißt, nach einem Schulabschluss eine Ausbildung zu finden. Wachstum heißt, als Forscherin an der Universität neue Technologien zu entwickeln. Wachstum heißt, sich als Krankenpfleger zur Intensivpflegekraft weiterzubilden, als Handwerker den Betrieb in die nächste Generation zu führen, als Familienunternehmer das Geschäft zu digitalisieren, als Gründer eine Idee zum Erfolg zu führen oder als Unternehmen den Schritt an den Kapitalmarkt zu machen.

Wachstum hat also ganz verschiedene Facetten, und es ist unsere Verantwortung, dieses Wachstum in seiner ganzen Breite zu unterstützen, es zu ermöglichen. Das ist zumindest mein Verständnis von Wachstum, von sozialer Marktwirtschaft, und es ist das, was soziale Marktwirtschaft in ihrem Kern ausmacht: Markt und Wettbewerb, Eigenverantwortung und Subsidiarität, Chance und Risiko, Leistung und Haftung.

Ohne Wachstum entstehen Verteilungskonflikte. Der Zugewinn des einen wird zum Verlust des anderen. Ohne Wachstum verlieren wir die Mitte der Gesellschaft und überlassen das Feld Populisten von rechts und von links, die mit vermeintlich einfachen Lösungen auf Stimmenfang gehen.

Wachstum, so wie ich es verstehe, ist ein Prozess, bei dem aus einer Erfindung ein Produkt, aus einer Idee ein Unternehmen und aus einem Land ein Technologieführer wird.

Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am Mittwoch gesagt: „Wir können aus eigener Kraft heraus wieder zu einer Wachstumslokomotive werden, auf die die Welt mit Bewunderung schaut.“ Ich sehe ganz viel Lust auf Wachstum in unserem Land. Ich erlebe Menschen, die loslegen wollen, die sich nicht scheuen, Verantwortung zu übernehmen. Ich erlebe einen lebendigen Mittelstand, der viel gelitten hat, der aber auf unser Land zählt und gerne hier ist.

Der ifo-Geschäftsklimaindex markiert seit der Bundestagswahl eine Verbesserung des Geschäftsklimaindex um immerhin 1,5 Prozentpunkte. Wir haben eine erfolgreiche Start-up-Kultur: 2019 gab es noch 11 Unicorns, die Zahl ist bis 2024 auf 28 Unicorns gestiegen. Also, die Substanz ist da.

Diese Lust auf Wachstum lässt sich an drei Punkten festmachen: Mut, neu zu denken, Vernunft, pragmatisch zu handeln, und Ausdauer, weiterzumachen, wenn es schwierig wird. Lassen Sie mich das konkret machen an den dringendsten Aufgaben, die diese Koalition für die Wirtschaft in Deutschland angehen wird:

Wir werden den Mittelstand stärken durch Entlastungen im Energiebereich, im Steuerbereich. Wir werden aber auch die Forschung und die Förderprogramme im Mittelstandsbereich stärken.

Wir werden einen Deutschlandfonds mit zehn Milliarden Euro Eigenmitteln aufsetzen und die Mittel dieses Fonds mittels privaten Kapitals und Garantien auf mindestens 100 Milliarden Euro hebeln. Den Zukunftsfonds verstetigen wir, und wir werden einen zweiten Zukunftsfonds mit starkem Fokus auf DeepTech und Biotech auflegen.

Wir werden den Innovationskräften wieder mehr Freiraum geben. Ein Beispiel: Das Kabinett wird heute den Entwurf eines Reallaboregesetzes beschließen, mit dem wir die praxisnahe Erprobung von Technologien beschleunigen werden.

Wir werden das Fachkräftepotenzial heben, indem wir erstens die Fehlanreize beim Bürgergeld korrigieren, zweitens die Aktivrente ermöglichen – mit einer Hinzuverdienstgrenze von 2.000 Euro – und drittens berufliche Abschlüsse schneller anerkennen.

Wir werden in allen Rechtsgebieten entbürokratisieren und dieses Thema auch auf EU-Ebene vorantreiben. Die Berichtspflichten im nationalen Lieferkettengesetz werden wir abschaffen. Wir werden die Anwendung von Genehmigungsfiktionen ausweiten, jährliche Bürokratieabbaugesetze vorlegen – mit mehr Mut zum Pragmatismus – und ein Moratorium für Statistikpflichten verhängen.

Wir werden eine degressive Abschreibung auf Investitionsgüter in Höhe von 30 Prozent in den Jahren 2025 bis 2027 einführen. Und ab 2028 werden wir die Körperschaftsteuer schrittweise senken. Das ist die erste große Entlastungsmaßnahme für Unternehmen seit 2008. Denn diese Regierung vertraut Unternehmerinnen und Unternehmern. Wir vertrauen jenen, die gründen und die ihren Kopf hinhalten, nach vorne gehen und ins Risiko gehen. Ihnen gehört unser Vertrauen.

Wir werden unsere Energiepolitik einem Realitätscheck unterziehen und auf dieser Basis die Bedarfe für erneuerbare Energien, für gesicherte Leistung und den dann folgenden Netzausbau neu ermitteln. Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit müssen wieder ins Zentrum unseres politischen Handelns rücken.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist wichtig. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein Erfolg. Erneuerbare Energien alleine können jedoch eine Industrienation wie Deutschland nicht zuverlässig und zu bezahlbaren Preisen mit Energie versorgen. Wir brauchen dazu steuerbare Stromerzeugung im eigenen Land. Der Koalitionsvertrag sieht hierzu vor, bis zu 20 Gigawatt an Gaskraftwerksleistung auszuschreiben, und diese Ausschreibung werden wir so schnell wie möglich starten.

Um eine sofortige Kostenentlastung im Stromsektor zu erzielen, werden wir zudem die Stromsteuer auf das europäische Minimum absenken, die Netzentgelte bezuschussen und die Belastung bei der Gasspeicherumlage reduzieren.

Um Klimaschutz bezahlbar zu machen, werden wir den Lösungsraum erweitern. Wir werden CCS und CCU ermöglichen und beim Wasserstoffhochlauf für Farbneutralität eintreten. Im Hinblick auf die Gebäudeeffizienz werden wir die Technologieverbote der letzten Novelle des Gebäudeenergiegesetzes zurücknehmen. Als erste Maßnahme werden wir das Betriebsverbot für Heizkessel abschaffen. Wir orientieren uns an den langfristigen CO2-Einsparungen im Gebäudebereich.

Deutschland ist die drittgrößte Exportnation der Welt – mit einem Exportvolumen von 1,7 Billionen US-Dollar. Wir werden deshalb alles tun, um Freihandel und ausländische Direktinvestitionen zu sichern. Die bereits vorliegenden Investitionsschutzabkommen mit Singapur und Vietnam und das novellierte EU-Chile-Abkommen werden wir schnellstmöglich ratifizieren. Die noch in den Verhandlungen befindlichen Abkommen wollen wir zu einem erfolgreichen Ende führen, insbesondere Mercosur. Und wir werden die EU dabei unterstützen, neue Freihandelsinitiativen zu ergreifen.

Ich komme zum Ende. Hat Deutschland das Wachstum verlernt? Nein! Denn die Substanz ist da, und die Lust, zu wachsen, ist da. Und es ist jetzt auch eine Koalition da, die Wachstum mit einem klaren ordnungspolitischen Kompass ins Zentrum stellen will, damit Menschen ohne Beschäftigung Arbeit finden, Handwerker ihre Betriebe guten Gewissens in die nächste Generation führen können, Familienunternehmen erfolgreich ihr Geschäft digitalisieren und Erfolgsgeschichten schreiben können.

Wachstum passiert nicht von allein. Das wird kein Spaziergang; das wird harte Arbeit. Aber es ist ja auch eine Arbeitskoalition, die sich gefunden hat und die bereit ist, das Notwendige zu tun – mutig, vernünftig und ausdauernd.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. «


Quelle: Bulletin 36-4 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 19. Mai 2025

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