Veröffentlicht am: 09.09.2024 um 17:58 Uhr:
Fotografie: "Sammelst Du schon oder hortest Du nur?"
» Das Aufbewahren fotografischer Artikel bietet hohes psychologisches Deutungspotenzial. Die Zeiten, als Sammeln eine Art des Nahrungserwerbs war, sind zum Glück vorbei. Dennoch ist diese Leidenschaft des Vorrätebildens tief in uns verankert. Seit Kindheitstagen erprobt, sind die Motive und psychologischen Profile des Sammelns äußerst vielschichtig und selten schmeichelhaft.
Auch der Secondhand-Fotomarkt erhält viele Impulse durch Besitzdenken und Haben-wollen. Die klassische Psychologie würde wohl eher den Sammlern von Edelmarken – wie Leica und Rollei – diese Eigenschaften zuschreiben. Und es kommt noch dicker: Besitzen-wollen und damit einhergehende Macht-Demonstration sind Ausdruck des Beherrschen-Wollens. Bei diesem üblen Profil ducken sich Leica-Sammler schnell weg. Etwas entspannter können Sammler auftreten, die sich bei scheinbar unspektakulären Produkten ausleben, wie Pocket-Kameras. Ihnen weist die Psychologie nur Fluchtgedanken nach. Überfordert durch den modernen, komplizierten Alltag treten sie den Rückzug in übersichtliche, eingegrenzte Gebiete an, in denen sie sich orientieren und Ordnung schaffen können.
Folgt man den Gedanken der Psychologie weiter, so schneidet jeder Sammler-Typ schlecht ab. Wer sich zurückzieht und im Minox-Club ähnlich tickende Menschen findet, kann Defizite in den sozialen Kontakten leichter kompensieren. Ein Lieblingsfeld psychologischer Erklärung ist die Analyse diverser Ängste. Der Fotosammler, der auf Masse setzt und sich traumatisiert unterversorgt fühlt, der seine Objekte sorgfältig überprüft und archiviert, streunt durch die Angebote von Kamera-Konvoluten und zwischen den Grabbelkisten auf Fotobörsen. Der sentimentale Sammler überdeckt seine Motive mit scheinbar historischem Interesse. Seine Schummelei fliegt auf, wenn er zugibt, dass der Ausgangspunkt seiner Leidenschaft ein ganz persönlicher war: Mein Weg von meiner ersten Praktica zur Nikon. Tiefe Selbstzweifel sind aber nicht angebracht. Ob nun Sammler von Meilensteinen bei Leica, Rollei und Zeiss oder Begeisterter für die Historie der Belichtungsmesser: Diese Typen sind in der Regel entspannter, gebildeter, kommunikativer und gesellschaftlich anerkannter als der leidenschaftslose Rationalist ohne psychische Defizite. «
Quelle: Winfried Warnkes "Secondhand-Kolumne" im fotoMAGAZIN 4/2014