Veröffentlicht am: 03.06.2022 um 20:17 Uhr:
Bundesregierung: Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock
» Wir haben gerade von Antje Boetius gehört, auf wissenschaftliche Art und Weise, was uns droht, wenn wir nicht handeln beim Meeresschutz, aber insbesondere, wenn wir nicht handeln beim Klimaschutz. Dass es nicht nur eine Umweltfrage ist, sondern dass es zu einer sicherheitspolitischen Frage dort vor Ort wird. Und Antje Boetius hat auch unterstrichen, wer die entscheidenden Treiber in diesem Bereich noch sein müssten, nämlich China und Russland.
Ähnliches sehen wir in anderen Regionen der Welt, wo es nicht um zu viel Wasser geht, sondern um das Gegenteil: dass wir mehr Wasser bräuchten – im Sahel, in Afrika, wo Dürren und Trockenheit schon seit Jahren aufeinandertreffen. Als ich vor ein paar Wochen in Mali war und auf ausgetrocknetem Boden stand, da haben mir Bauern erzählt: Vor 40 Jahren wurde noch Baumwolle angebaut und jetzt ist dort nur noch Staub und Stein. Dort sieht man auf dramatische Art und Weise, was diese technischen 1,5 Grad, zwei Grad bedeuten. Es bedeutet dort im Sahel fünf Grad mehr. Und fünf Grad mehr bedeuten, dass man eigentlich nicht mehr draußen sein kann.
Wir sehen dort auf dramatische Art und Weise, dass das, was uns in der Antarktis vielleicht drohen könnte, dort schon um sich greift: dass sich nämlich Klimakrise, Ernährungskrise und sicherheitspolitische Fragen miteinander verbinden und deutlich machen, wie stark die Klimakrise mittlerweile zu einem Konfliktverschärfer wird.
Aus meiner Sicht stehen wir hier an einer Weggabelung. Das ist nämlich auf der einen Seite eine Challenge – und auf der anderen Seite kann es eine große Chance sein. Denn mit jedem Zehntel Grad Erderwärmung, das wir reduzieren können, tragen wir auch dazu bei, dass Entwicklungschancen bestehen bleiben. Und wir stärken damit den Kampf gegen Terrorismus, der genau diese Lücke nutzt – nämlich bei Bauern die Kinder zu rekrutieren als Kindersoldaten –, weil sie nicht mehr auf ihre Felder gehen können, weil es keine Felder mehr gibt – und bei Fischern Söhne zu rekrutieren, die nicht mehr fischen können. Wenn wir die Klimakrise zumindest ansatzweise in den Griff bekommen, dann ist das auch ein Beitrag zur Sicherheitspolitik in solchen Regionen.
Wir sehen jetzt auf dramatische Art und Weise, dass Russland genau diese Verknüpfung zwischen Ernährungssicherheit und Sicherheitspolitik ganz gezielt nutzt, indem Getreidelieferungen nicht nur aus der Ukraine nicht rauskommen, sondern auch nicht aus Russland, wo man einen Exportstopp auf Getreide verhängt hat, um weltweit zu suggerieren, mit einem falschen Narrativ, verantwortlich seien die Sanktionen der G7.
Das heißt: Wir müssen dringend handeln angesichts dieses hochbrisanten Cocktails aus Krisen, die sich gegenseitig verschärfen. Deswegen haben wir als neue deutsche Bundesregierung für uns definiert, dass Klimaschutz nicht nur eine Aufgabe von Umweltschutz ist, sondern auch im Energie- und Klimaschutzministerium verankert ist – wie bereits in vielen Ländern weltweit – und dass Klimaschutz auch zu einem Thema der Außenpolitik wird. Auch da sind andere Länder bereits vorangegangen, die Vereinigten Staaten mit einem Sonderbeauftragten für internationalen Klimaschutz, um deutlich zu machen: Das eine bedingt das andere.
Und im Rahmen dieser G7-Präsidentschaft – deswegen nochmals herzlichen Dank, dass wir gemeinsam als drei Ministerinnen und Minister der deutschen Bundesregierung diese Sitzung hier heute haben können – legen wir Klimaschutz als ressortübergreifenden Ansatz an, um deutlich zu machen: Das kann nicht ein Ministerium oder ein Land alleine lösen.
Die Abschlusserklärung, die heute hier getroffen wird, ist ein Wegbereiter sowohl für den Petersberger Klimadialog als auch für die Klimakonferenz in Ägypten – die entscheidend sein wird, weil sie die erste Konferenz ist, die deutlich macht: Wir gehen in die Regionen, wo die Klimakrise auf dramatische Art und Weise bereits ihren Ausschlag findet. Und auch hier wieder das Gute aus meiner Sicht: Wir können das jetzt als große Herausforderung, als Challenge sehen – oder als Chance.
Bereits 2015 in Paris wurde deutlich gemacht, auch von den Industriestaaten: Wenn wir durch erneuerbare Energien Afrika elektrifizieren, dann ist das ein entscheidender Beitrag für unsere Entwicklungsziele. Seitdem, in sieben Jahren, ist nicht genug passiert. Das ist die bittere und ehrliche Bilanz, die wir ziehen müssen. Aber es tut sich auch eine Chance auf. Vor sieben Jahren waren noch etliche von uns unterwegs auf den Klimakonferenzen und mussten Überzeugungsarbeit leisten, dass es den Klimawandel überhaupt gibt. Jetzt sind wir in einer Situation, unterstrichen durch den Krieg Russlands, wo es einen Wettstreit darum gibt, wer Frontrunner ist beim Ausbau Erneuerbarer Energien, vor allen Dingen beim Wasserstoff. Diese Chance sollten wir nutzen als ein positives Zusammenbringen von Klimaschutz, von sauberen Technologien, von Sicherheitspolitik und Entwicklungspolitik.
Auf dieser Grundlage werden wir unsere G7-Präsidentschaft gemeinsam ressortübergreifend nutzen und freuen uns, dass alle Länder der G7 deutlich machen, dass wir mit Blick auf die nächste Klimakonferenz nicht mit leeren Händen dastehen können. Ich glaube, es war ein wirklich wichtiges Signal von Großbritannien auf der letzten Klimakonferenz, dass man nicht nur die finalen Texte miteinander besprochen hat, sondern zusätzlich – wir hatten darüber ja auch schon gesprochen in München bei der Sicherheitskonferenz – Klimaprogramme auf den Weg gebracht hat, bei denen man gesagt hat: Frontrunner tun sich zusammen, damit wir nicht auf die Letzten warten müssen bei der Reduzierung von Methan, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Und genau dort möchten wir anknüpfen mit unserer G7-Präsidentschaft und deutlich machen: Investitionen in Klimaschutz sind Investitionen in Energiesicherheit. Sie sind die große Chance, wenn wir jetzt Milliarden auf dem Weg bringen mit Blick auf Konnektivitätsprogramme – was in den USA noch „build back better“ hieß und jetzt einen neuen Namen findet, was wir mit „Global Gateway“ in der Europäischen Union auf den Weg gebracht haben, was Großbritannien auf den Weg gebracht hat. Diese Investitionen sollten wir zusammen denken für Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimaschutz. Aber eben auch geostrategisch denken – und genau überlegen: In welchen Ländern und Regionen können wir gemeinsam als Wertegemeinschaft investieren? Das ist der Aufschlag, den wir als G7 Außenminister gemacht haben – und den ich hier einbringen möchte: Dass nicht jeder mit der Gießkanne seine Investitionen macht, sondern dass sie geostrategisch und mit Blick auf die Herausforderungen des Klimaschutzes angelegt sind.
Mein zweiter Punkt ist unsere Überzeugung als deutsche Bundesregierung, dass wir beim Punkt „Loss and Damage“ nicht weiter auf der Bremse stehen können. Auf den letzten Klimakonferenzen – ich glaube, auch da muss man ehrlich sein – hat man immer am Ende gesagt: „Ja, ein bisschen gibt es noch bei ‚Loss and Damage‘.“ Und die weniger entwickelten Länder, die am meisten betroffen sind, mussten regelrecht bitten und betteln, dass es da noch etwas gab.
Wir sehen, dass wir in manchen Regionen dieser Welt die Klimakrise nicht nur nicht mehr stoppen können, sondern dass uns auch die Eindämmung unglaublich schwerfällt. Wir können ärmeren Ländern da nicht sagen: „Gut, schaut mal, wie ihr über die Runden kommt.“ Unser Anspruch als deutsche Bundesregierung – und das ist auch unser Werben in den G7 – ist es, diese Länder, die am härtesten von der Klimakrise betroffen sind, die am allerwenigsten dafür können, weil sie nach wie vor eigentlich gar keine eigenen CO2-Emissionen haben, in Zukunft deutlich stärker über „Loss and Damage“ zu unterstützen. Auch hier: Das ist eine geostrategische Frage. Wenn wir diese Länder jetzt im Stich lassen, dann sagen sie zu Recht: Warum sollen wir euch beim Krieg gegen Russland unterstützen?
Der dritte uns wichtige Punkt ist die Klimafinanzierung und das 100-Milliarden-US-Dollar-Versprechen. Auch das ist eine Finanzfrage, die Schwellen- und Entwicklungsländer betrifft. Auch das ist ein Versprechen, das wir in Paris gemeinsam gegeben haben. Und auch bei diesem Versprechen sind wir noch nicht da, wo wir eigentlich sein müssten. Unsere Ambition als deutsche Bundesregierung, als G7 ist es, dieses Versprechen endlich einzulösen. Auch hier haben die G7 aus meiner Sicht eine zentrale Verantwortung. In dieser Zeit, in der Demokratien gegen autoritäre Regime kämpfen, müssen wir deutlich machen: Wir halten unsere Versprechen, wir halten unsere internationalen Zusagen ein, weil wir in der Welt unsere Werte verteidigen. Ganz konkret geht es dabei dann um Regenauffanganlagen, Tröpfchenbewässerung, um die Frage, wie man eigentlich bei 45 Grad im Schatten überhaupt noch Landwirtschaft betreiben kann. Es wäre aus meiner Sicht in diesen harten Zeiten, wo die Welt droht, auseinander zu fallen, ein wirklich wichtiges Zeichen der internationalen Solidarität, wenn wir mit Blick auf den G7-Gipfel in Elmau hier einen richtig großen Aufschlag schaffen können.
Das, was wir uns in der Bundesregierung ressortübergreifend als „Team Deutschland“ vorgenommen haben, in allen Bereichen aktiv zu werden, wollen wir auch auf der internationalen Ebene tun. Deswegen freue ich mich sehr, dass unsere indonesischen Freundinnen und Freunde, Umweltministerin Siti Nurbaya Bakar und Energieminister Arifin Tasrif, heute hier sind! Wir hatten auch Ihre Außenministerin bei unserem Treffen der G7-Außenminister zugeschaltet – weil klar ist, dass wir die großen Aufgaben vor uns nur gemeinsam zwischen G7 und G20 angehen können. Indonesien wird für uns in dieser G7-Präsidentschaft ein zentraler Partner sein – aber auch darüber hinaus bei unseren Energie- und Klimapartnerschaften. Und zwar nicht nur mit Blick auf die Reduzierung von CO2, sondern gerade auch beim wissenschaftlichen Austausch, bei Technologietransfer und bei Finanzierung.
Die nächsten Wochen und Monate werden von schwierigen Verhandlungen geprägt sein. Aber sie sind auch eine große Chance für uns als Industriestaaten – die nun einmal Verantwortung dafür tragen, dass die Erde sich erwärmt hat – beim G7-Gipfel im Elmau, beim G20-Gipfel in Bali und dann bei der Weltklimakonferenz in Ägypten zu zeigen:
Wir können das; wir können die Zukunft gemeinsam gestalten, wenn wir Verantwortung übernehmen. Wir können dafür sorgen, dass Millionen Menschen sehen, dass internationale Kooperation sich lohnt, weil es ihr Leben in Zukunft besser macht.
Und wir können dafür sorgen, dass wir nicht nur über technische Zahlen von 0,1 Grad oder zwei Prozent reden, sondern ganz konkret den Menschen im Sahel deutlich machen: Wir werden dafür sorgen, dass die Technologien der Zukunft – die so viel können: Regenmengen berechnen, saubere Energie erzeugen – helfen, dass in Zukunft auch im Sahel wieder Getreide und Baumwolle angebaut werden können. Das ist eine große Herausforderung.
It's a big challenge – but it is our only chance to save the planet.
Vielen Dank für den heutigen Austausch. «
Quelle: Bulletin 69-2 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 30. Mai 2022