Veröffentlicht am: 16.06.2022 um 00:34 Uhr:

Bundesregierung: Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier bei der Jubiläumsveranstaltung „50 Jahre Schülerwettbewerb zur politischen Bildung“

Am 10. Juni 2022 hat Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier bei der Jubiläumsveranstaltung "50 Jahre Schülerwettbewerb zur politischen Bildung" in Berlin nachfolgende Rede gehalten:

» Liebend gern hätte ich dieses Geburtstagsfest und diese Siegesfeier unbeschwert eröffnet, aber die Schweigeminute zu Beginn hat es deutlich gemacht: Wir sind in keiner gewöhnlichen Woche hier in Berlin.

Das war ein Riesenschock über die Grenzen Berlins hinaus, als Schülerinnen und Schüler in Ihrem und Eurem Alter mitansehen mussten, dass ein Auto in eine Menschenmenge rast und die Lehrerin, die die Schüler betreut, dabei zu Tode kommt. Viele Schülerinnen und Schüler sind schwer verletzt worden und ich glaube, in Ihrem und in Euer aller Namen darf ich von hier aus auch noch einmal die herzlichsten Genesungswünsche auf den Weg geben.

Wir werden das im Kopf und im Herzen behalten, auch wenn wir jetzt zu dem kommen, weshalb wir eigentlich heute zusammen hier sind, und was für uns alle auch ein großer Anlass zu Freude und Dankbarkeit ist.

Liebe Schülerinnen und Schüler, Ihr alle seid Sieger, besser gesagt: Ihr gehört zu den Siegergruppen beim Schülerwettbewerb zur politischen Bildung. Deswegen bin ich heute gerne bei Euch – und deswegen habt Ihr Euch die Reise hierher nach Berlin im wahrsten Sinne des Wortes verdient.

Herzlichen Glückwunsch Euch allen! Jedem und jeder Einzelnen und allen Teams.

Nach dem Glückwunsch sage ich als nächstes: Respekt! Respekt vor Eurer Leistung, Respekt vor dem, was Ihr miteinander zustande gebracht habt. Ihr habt euch in politische Themen richtiggehend hineingekniet, in Themen, die nicht leicht sind. Ihr habt sie von verschiedenen Seiten beleuchtet und Euch damit intensiv auseinandergesetzt. Und Ihr habt sie ansprechend präsentiert: in Podcasts, in Videos, auf Plakaten, multimedial.

Dabei habt Ihr – und das ist wichtig – die Themen in Euren Präsentationen so aufbereitet, dass auch anderen klar wird, wo jeweils die Knackpunkte liegen, wo Ursachen für Probleme zu finden sind, und auch, wie man handeln könnte und müsste, um es besser zu machen. Welche Argumente für den einen Lösungsweg sprechen und welche für einen anderen. Ihr habt abgewogen, diskutiert und seid so zu gemeinsamen Ergebnissen gekommen.

Ihr habt Eure Köpfe angestrengt und Euch Sachverstand erarbeitet, und Ihr wart sicher auch mit dem Herzen und mit Leidenschaft bei der Sache. Sonst hättet Ihr wohl kaum zu den Siegern und Siegerinnen gehört. Damit habt Ihr – ganz nebenbei – eine ganze Menge über das gelernt, was Politik ist, wie Politik funktioniert. Im Großen wie im Kleinen.

Ich will jetzt am Anfang nicht besonders lange reden, wir haben ja gleich noch die Gelegenheit dazu, die eine oder andere Frage aufzuwerfen oder auch zu beantworten. Ich möchte Euch nur ein paar Gedanken oder Ideen mitgeben, die Ihr vielleicht jetzt nach dem Wettbewerb besser versteht als vorher.

Eine der bekanntesten Definitionen über das, was Politik eigentlich ist, geht so: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern […].“ Es war ein deutscher Professor, der das vor mehr als hundert Jahren in einer Rede vor jungen Leuten gesagt hat. Er hieß Max Weber und war damals ziemlich berühmt. Seine Rede hieß „Politik als Beruf“. Und sein Satz von der Politik und dem starken langsamen Bohren von harten Brettern wird heute, auch hundert Jahre später noch, gern und oft zitiert.

Ich finde, das ist immer noch ein gutes Bild für die politische Arbeit. Ihr werdet es bei manchen Eurer Themen gemerkt haben: Das sind oft harte Bretter, vor denen man steht. Um den Dingen auf den Grund zu gehen und um zu den wirklichen Problemen durchzukommen, muss man mindestens zweierlei haben: Stärke und Geduld.

Stärke, damit man die Ziele die man sich gesetzt hat, überhaupt erreichen kann; damit man Widerstände überwinden kann. Widerstände gibt es nämlich immer, wenn man politisch etwas bewegen, erreichen oder etwas durchsetzen will. Stärke braucht man also, damit man nicht bei der ersten Schwierigkeit gleich aufgibt.

Und Langsamkeit beim Bohren, also Geduld braucht man, weil die meisten politischen Prozesse eben nicht von heute auf morgen zu Ende zu bringen, die meisten politischen Probleme nicht von heute auf morgen zu lösen sind. Man muss auf vieles Rücksicht nehmen, vieles bedenken. Manche Schwierigkeiten tauchen erst mittendrin auf, man hat vielleicht vorher gar nicht an sie gedacht oder sie nicht gesehen. Und man muss die Menschen überzeugen, auch die vielen, die zu Beginn noch zögerlich sind. Das alles braucht Zeit.

Max Weber hat in seiner Rede damals von drei Qualitäten gesprochen, die man als Politikerin oder als Politiker haben muss: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß.

Ich definiere diese drei für mich so.

Erstens: Leidenschaft. Ich mache mir ein Problem, ich mache mir eine Aufgabe persönlich zu eigen. Ich merke, dass ich jetzt hier gefordert bin. Ich setze einen großen Teil meiner Kräfte dafür ein, dass sich etwas ändert. Ich lasse mich durch faule Ausreden oder durch zu wenig Unterstützung nicht sofort beirren. Das Ziel, das ich mir gesetzt habe, ist mir so wichtig, dass ich manches andere dafür hinten anstelle.

Zweitens: Verantwortungsgefühl. Das politische Engagement ist kein Hobby für einen Tag oder eine Woche. Wenn ich eine Sache angefangen habe und sogar andere damit überzeugen oder dafür begeistern konnte, dann habe ich eine Verantwortung übernommen. Niemand kann von mir verlangen, dass ich mich überfordere. Aber ich selber weiß, dass manches jetzt ganz von mir und meinem Handeln abhängt und ich es nicht einfach anderen überlassen darf, was aus der Sache wird. Ich weiß, dass ich das, was ich angefangen habe, nicht mehr leichtfertig aufgeben darf.

Und drittens, häufig unterschätzt: Augenmaß. Das heißt, dass man sich die Sachen genau anschaut, die Wirklichkeit genau wahrnimmt. Ihr selber habt es bei Euren Aufgaben vermutlich auch gemerkt: Man muss sich sachkundig machen. Meinungen haben kann jeder, Meinungen sind das einfachste und schnellste, was zu haben ist, erst recht im digitalen Zeitalter und in der Kommunikation mit Sozialen Medien. Aber mit Meinungen allein werden keine Probleme gelöst. Man muss Ahnung haben, Kenntnis, Wissen. Stück für Stück immer mehr von der Sache verstehen. Dann sieht man auch besser, was gehen könnte und was nicht – und ist auf diese Weise auch besser vor Enttäuschungen geschützt, die es auf diesem Wege gelegentlich eben auch gibt.

Liebe Schülerinnen und Schüler, bevor wir gleich auf dem Podium weiterreden, vielleicht noch ein paar Worte an die Lehrer und die anderen erwachsenen Verantwortlichen dieser Wettbewerbsreihe.

Liebe Lehrerinnen und Lehrer, Sie haben Ihre Schülerinnen und Schüler bei diesem Wettbewerb intensiv und, wie ich sehe, erfolgreich betreut. Diese Leidenschaft, dieses Verantwortungsgefühl braucht es, damit politische Bildung an Schulen gelingen kann. Allen, die heute hier sind, und allen, die mit Engagement, Sachkenntnis und Begeisterung für eine gute politische Bildung arbeiten, sage ich meinen ganz herzlichen Dank!

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeszentrale für Politische Bildung, liebe Jurorinnen und Juroren: allen, die durch ihr großes Engagement diesen Schülerwettbewerb möglich machen, danke ich herzlich für diesen nun seit fünfzig Jahren hoch bewährten, ja unersetzlichen Beitrag zur politischen Bildung an unseren Schulen.

Wir brauchen gute politische Bildung, gerade an unseren Schulen. Einmal, damit schon Kinder und Jugendliche die Politik und damit auch unsere Demokratie besser verstehen – und die Zusammenhänge in der Politik auch besser durchschauen. Aber vor allem, damit sich mehr Menschen politisch engagieren – in der Schule, im Verein, im Stadtviertel, in Parteien – eben überall dort, wo Politik für junge Leute wichtig ist. Um dieses Engagement zu wecken, brauchen wir dringend mehr Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, wo immer sie betroffen sind. Soziologen oder Politikwissenschaftler nennen das Partizipation. Bildung und Partizipation gehören zusammen. Nur so werden junge Menschen zu politisch denkenden und verantwortlich Handelnden, zu Demokratinnen und Demokraten. Junge Menschen fordern mehr Beteiligung, und sie haben nicht nur gute Gründe dafür – sie haben auch alles Recht dazu!

Nur so werden wir auch in Zukunft die guten Politikerinnen und Politiker, und vor allem auch die jungen Politikerinnen und Politiker haben, die wir brauchen. Solche, die keine Angst vor dem langsamen und starken Bohren harter Bretter haben, und die mit Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß die großen Aufgaben angehen, die in der Tat vor uns liegen.

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste, nachher reden wir weiter. Bis hierher danke ich Euch und Ihnen für die Aufmerksamkeit – und den Gewinnern noch einmal meinen herzlichen Glückwunsch! «


Quelle: Bulletin 76-3 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 14. Juni 2022

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