Veröffentlicht am: 27.10.2022 um 10:43 Uhr:

Bundesregierung: Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, bei der 25. Internationalen Metropolis-Konferenz

Am 6. September 2022 hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, bei der 25. Internationalen Metropolis-Konferenz in Berlin nachfolgende Rede gehalten:

» Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Metropolis feiert in diesem Jahr sein 95. Jubiläum. Nein, das war kein Versprecher! Ich rede nicht von dieser Konferenz hier, sondern vom Science-Fiction-Klassiker „Metropolis“ aus dem Jahre 1927. Ein monumentaler Meilenstein des internationalen Kinos! Die Unesco zählt ihn zum „Memory of the World“. Gedreht wurde „Metropolis“ hier ganz in der Nähe, in Babelsberg, vor den Toren Berlins – für die Älteren: das Hollywood von Europa.

Und nicht nur der Name verbindet unsere Konferenz mit diesem Film, sondern auch der Lebensweg seines Regisseurs – Fritz Lang. Denn Fritz Langs Biographie ist untrennbar mit dem Thema Migration verbunden – in den verschiedensten Formen. Geboren in Österreich, ging Lang zur Ausbildung zunächst nach Frankreich, nach Paris. Später zog er weiter nach Deutschland, um hier zu arbeiten. Vor den Nazis floh Lang in die USA und drehte seine Filme im wirklichen Hollywood. Der Migrant Fritz Lang wurde Weltbürger wider Willen.

Die Themen seines Lebens, die gewollte genauso wie die erzwungene Migration, Integration und Arbeit – das sind auch die Themen unserer Metropolis-Konferenz. Und noch einmal: Ganz herzlich willkommen in Berlin! Es ist schön, Sie zu sehen und wir freuen uns, dass Sie hier sind.

Wenn Sie nachher hier vor die Tür treten, sind sie mitten in einer Weltstadt. Hier in Berlin leben Menschen aus 190 Nationen. Die Chancen, dass der erste Berliner, der Ihnen begegnet, einen Migrationshintergrund hat, liegen bei über 30 Prozent. Ob aus der deutschen Stadt Cottbus, aus Kopenhagen oder Kosovo – Berlin zieht Menschen aus der ganzen Welt an. Die Stadt ist weltweit zum Symbol geworden für Freiheit, Fortschritt und Vielfalt. Ich danke der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey, dass wir die Welt hierher einladen durften. Überflüssig zu sagen: Auch Franziska ist keine gebürtige Berlinerin.

Dass diese Konferenz nach Berlin passt, daran besteht kein Zweifel. Aber ich möchte auch hinzufügen, wie gut sie nach Deutschland passt. Das war nicht immer selbstverständlich. Lange haben wir darüber diskutiert, ob wir überhaupt ein Einwanderungsland sind – oder besser: sein wollen. Lange galt die Migrationsfrage als Spaltpilz in unserer Gesellschaft. Lange wurde das Thema in der Politik instrumentalisiert in polarisierenden Debatten mit rassistischen Untertönen. So als sei Migration eine Frage, die man mit „ja“ oder „nein“ beantworten kann.

Heute sind wir weiter. Diese Bundesregierung hat sich dem Fortschritt verpflichtet. Und darum diskutieren wir in dieser Koalition nicht das „Ob“, sondern das „Wie“. Wir wollen in Deutschland über Migration nicht mehr defensiv als Krisenfaktor, als Problem oder notwendiges Übel diskutieren. Wir wollen eine aktive, eine gestaltende und eine ehrgeizige Migrationspolitik! Natürlich sind wir ein Einwanderungsland. Aber wir wollen auch ein gutes, ein modernes Einwanderungsland sein! Das ist unser Anspruch!

Seit es Menschen gibt, gibt es Migration. Aber die Dimensionen verändern sich. Ende 2021 waren fast 90 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Und der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat diese Zahl auf über 100 Millionen Menschen ansteigen lassen. Hinzu kommen abermals Millionen von Menschen, die aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen ihre Heimat verlassen.

Wer glaubt, diesem globalen Trend allein auf nationaler Ebene begegnen zu wollen, dem fehlt in meinen Augen die wirkliche Perspektive: Wir brauchen globale Antworten auf globale Herausforderungen! Wir brauchen internationale Konzepte. Wir brauchen multilaterale Zusammenarbeit. Wir brauchen Diskussionsräume wie diesen hier für einen Erfahrungsaustausch, um zu lernen und um für die Zukunft gewappnet zu sein.

Ich stehe hier als Bundesminister für Soziales, aber auch als Bundesminister für Arbeit. Denn die Integration in Arbeit ist der Schlüssel für die gesellschaftliche Integration. Deshalb freue ich mich, Sie dieses Jahr als Gastgeber der 25. internationalen Metropolis Konferenz begrüßen zu dürfen. Noch einmal: Herzlich willkommen in Berlin!

Ich habe selten eine Konferenz erlebt, auf der Migration und Integration in ihrer ganzen thematischen Breite diskutiert werden. Ganz zentral – und das ist mir auch persönlich wichtig –: Wir widmen uns dem Thema faire Migration. Denn es geht nicht darum, wie wir hier das Beste für uns rausholen. Wir wollen, dass Migration zu einer Chance für alle Seiten werden kann – für Migrantinnen und Migranten, für die Empfangsländer, aber auch für die Heimatländer.

Ich freue mich sehr, dass Expertinnen und Experten aus Forschung, Politik und Zivilgesellschaft aus rund 60 Ländern unserer Einladung nach Berlin gefolgt sind. Der Start ist uns gelungen. In unserer ersten Plenarsitzung heute Vormittag standen zentrale Fragen im Hinblick auf zukünftige Pandemien und Arbeitsmigration im Mittelpunkt.

In der zweiten Plenarsitzung ging es um Auswirkungen multipler Krisen auf Migration und Mobilität aus kommunaler Perspektive. Kommunen sind zuständig für die Erstversorgung und stehen dabei in Krisen besonders unter Druck und müssen schnell reagieren. Das haben wir in dieser Krise gelernt, als rund 950.000 Menschen und Flüchtlinge aus der Ukraine nach Deutschland kamen. Die Kommunen spielen eine zentrale Rolle. Starke Städte sind das Rückgrat von starken Ländern, einer starken Weltgemeinschaft.

Das internationale Metropolis-Projekt zeigt, wie gut es ist von den Erfahrungen der anderen zu lernen, gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden. So kann echter Fortschritt gelingen – international mit vereinten Kräften.

Sie wissen besser als ich, dass Migration viele Gründe, viele Gesichter und viele Geschichten hat. Und so wichtig gute Lösungen in der Krise sind: Es geht umgekehrt bei dieser Konferenz nicht nur um Krisen und nicht nur um humanitäre Migration.

Es geht auch um Migration als Chance. Für die Aufnahmeländer, für die Migrantinnen und Migranten, aber auch für die Ursprungsländer – nämlich dann, wenn sie fair, nachhaltig und sozial gestaltet ist. Nicht die Länder, die Fachkräfte brauchen, dürfen allein entscheiden, woher und wie sie Personen anwerben. Lassen Sie mich das sehr klar sagen: Länder mit einem großen Potenzial gut ausgebildeter, junger Menschen sind kein Selbstbedienungsladen für alternde Gesellschaften!

Wenn wir also in Europa zum Beispiel Pflegepersonal suchen, darf das nicht dazu führen, dass in anderen Ländern das Gesundheitssystem kollabiert. Wir müssen bilateral und multilateral dafür sorgen, dass die Chancen zwischen Herkunfts- und Zielstaaten gerecht verteilt sind! Deswegen freue ich mich auch, dass meine Kollegin Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze am Freitag am High-level Forum teilnimmt. Denn hier geht es auch darum, die besondere Verantwortung Deutschlands mit Blick auf faire Migration herauszustellen. Es geht um einen progressiven Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik.

Migrationspolitik in der heutigen Zeit ist eine Operation „am offenen Herzen“. Das heißt: während wir noch reden, welcher Weg der Beste ist, verändert sich der Zustand schnell. Wir operieren inzwischen in einem anderen Umfeld: Ich denke da an die Digitalisierung, aber auch an den Klimawandel. Wird das Thema Arbeitsmigration durch mobile Arbeit an Bedeutung verlieren? Oder werden wir auch eine entgegengesetzte Entwicklung erleben – Stichwort „remote working“? Wie wird sich der Klimawandel konkret auf Migration auswirken? Die Dimensionen dieser Fragen sind enorm. Und deswegen ist es wichtig, dass wir gemeinsam, dass wir international nach Antworten suchen!

Ein weiterer Grund, warum Menschen zu uns kommen, ist, um hier zu arbeiten. Das Thema Fachkräfteeinwanderung beschäftigt uns in Deutschland sehr. Über den demografischen Wandel reden wir nicht erst seit gestern. Aber das Problem verschärft sich immer weiter. Wir Deutsche werden weniger und wir werden älter. Die Folgen spüren wir schon jetzt: Überall in Deutschland fehlen Fach- und Arbeitskräfte – beispielsweise in der Pflege, im Handwerk, in Hotels und Restaurants. Wenn wir weiterhin ein wirtschaftlich starkes Land bleiben wollen, wenn wir unseren Wohlstand wahren wollen, dann brauchen wir ausreichend Arbeits- und Fachkräfte.

Fachkräfteeinwanderung ist nicht die einzige Stellschraube, um dem Fachkräftemangel zu begegnen – wenngleich eine wichtige. Wir müssen aber auch hier bei uns unsere Hausaufgaben machen. Es geht darum, auch allen Menschen hier eine Perspektive zu geben – mit Bildung, Ausbildung, Umschulung und Weiterbildung. Es geht darum, Erwerbsmöglichkeiten von Frauen zu verbessern, vor allem auch durch gute Arbeitsbedingungen. Und darum, auch Ältere nicht auf der Strecke zu verlieren, sondern gesundes Arbeiten bis zum Ruhestand möglich zu machen.

Daher wird morgen übrigens auch auf meine Einladung ein Fachkräftegipfel stattfinden. Dort werden wir unseren Entwurf für eine Fachkräftestrategie mit Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Bundesländern diskutieren.

Aber es stimmt auch: Wir brauchen mehr qualifizierte Einwanderung in Deutschland, um den Fachkräftebedarf zu decken! Dafür müssen wir schneller und agiler werden. Das ist mir mit Blick auf die vielen offenen Stellen wichtig. Der deutsche Arbeitsmarkt ist aufnahmefähig. Und wenn jemand die nötige Berufserfahrung mitbringt und Potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt hat, dann wollen wir diesen Fachkräften die Möglichkeit geben zu kommen.

Bis jetzt kann eine ausländische Fachkraft nur mit einem anerkannten Abschluss bei uns arbeiten. Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse kostet Geld und Zeit. Andere Länder setzen diese Hürden nicht. Ich möchte den Arbeitsmarkt daher weiter für Fachkräfte öffnen, die einen Abschluss, einen Arbeitsvertrag, aber noch keinen hierzulande anerkannten Abschluss haben. Diesen könnten sie dann mit Hilfe des deutschen Arbeitgebers nachholen.

Und: Wer etwas kann, wer Berufserfahrung hat, der sollte auch hier eine Chance bekommen. Ich möchte daher auch die Einwanderung für Personen mit Berufserfahrung und für junge Hochschulabsolventinnen und -absolventen erleichtern.

Die Suche nach einem passenden Arbeitsplatz in Deutschland kann aus dem Ausland heraus schwierig sein. Diese Hürde wollen wir ebenfalls abbauen. Ich setze mich dafür ein: Wer Potenzial mitbringt und seinen Lebensunterhalt selbst sichern kann, kann dann ein Visum erhalten, um sich in Deutschland eine Arbeit zu suchen.

Dabei kann ein neues Punktesystem helfen. Hier spielt Kanada eine Vorreiterrolle. Personen- und berufsbezogene Kriterien können Menschen mit einem hohen Integrationspotenzial identifizieren, um diesen dann eine attraktive Perspektive zu bieten. Deshalb möchte ich eine „Chancenkarte“ einführen.

Last but not least wollen wir die Rahmenbedingungen für diejenigen, die als qualifizierte oder künftige Fachkräfte nach Deutschland kommen, noch besser ausgestalten. Insbesondere wollen wir auch die Familienangehörigen in den Blick nehmen und uns für eine bessere Integration dieser Menschen einsetzen. Damit sich die Familien in Deutschland wohl fühlen und bleiben.

2020 hat fast eine Million Menschen Deutschland verlassen. Viele dieser Menschen sind zuvor als Einwanderer zu uns gekommen. Wir fragen nicht nach den Gründen, warum sie unser Land verlassen. Aber wir müssen annehmen, dass sie teilweise gehen, weil sie sich hier nicht wohl, nicht aufgenommen fühlen oder hier keine berufliche Perspektive sehen. Darum müssen wir uns kümmern. Wir müssen deswegen noch viel stärker darauf achten, dass diese Menschen auch in Deutschland Wurzeln schlagen können. Dass sie sich eine Zukunft aufbauen. Wir wollen ein gutes Einwanderungsland sein. Jeder Einwanderer soll in unserem Land die Chancen finden, Deutschland zu seiner neuen Heimat zu machen.

„Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen.“ Das ist ein Zitat von dem bekannten Schriftsteller Max Frisch, und er hat das bereits 1965 erkannt. Damit war er seiner Zeit – und so manchen Diskussionen in diesem Land – weit voraus. Arbeit ist ein wichtiger erster Schritt für eine gelungene Integration. Es ist aber nicht der letzte!

Wir werden deshalb nur als Gesellschaft stark sein, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen. Wenn wir Menschen, die in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu uns kommen, Offenheit entgegenbringen und Respekt. Das heißt im Übrigen auch, dass wir es nicht zulassen, dass einige Arbeitsmigration mit Ausbeutung verwechseln. Ich sage es ganz offen: Wer glaubt, dass er jene, die zu uns kommen, mit schlechten Löhnen oder Arbeitsbedingungen abspeisen kann, dem sage ich den Kampf an! Das sind keine Partner, das sind die Feinde einer fairen Gesellschaft. Deutschland wird Verantwortung für diese Menschen übernehmen, wir werden uns für faire Arbeitsbedingungen einsetzen und sie als offene und solidarische Gemeinschaft aufnehmen!

Ich bin fest davon überzeugt: Fehler der Vergangenheit dürfen und werden wir nicht wiederholen! Wir haben gelernt aus der Gastarbeiterzeit der 1960er und 70er Jahre. Aber auch aus 2015. Wir haben die Perspektive auf die Menschen, die zu uns kommen, geändert – vor allem dadurch, dass wir ihnen eine Perspektive geben.

Wir können globalen Herausforderungen nicht mit nationalen Antworten begegnen. Aber wir brauchen viel lokales Engagement. Es braucht uns alle – Politik, Wissenschaft, Medien, Zivilgesellschaft –, um unsere Gesellschaft zusammen zu halten. Hier vor Ort und in der Welt. Darum ist diese Konferenz so wichtig!

Migration kennt keine Grenzen. Und deshalb darf es auch unsere Zusammenarbeit nicht. Deshalb sind wir alle hier! Ich freue mich auf den Austausch und wünsche uns eine erfolgreiche Konferenz! Vielen Dank! «


Quelle: Bulletin 110-8 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 22. September 2022

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