Veröffentlicht am: 27.10.2022 um 20:12 Uhr:

Bundesregierung: Rede der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Steffi Lemke, zur Änderung des Atomgesetzes vor dem Deutschen Bundestag

Die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Steffi Lemke, hat am 22. September 2022 nachfolgende Rede zur Änderung des Atomgesetzes vor dem Deutschen Bundestag in Berlin gehalten...

» Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin angesichts dieser Debatte dankbar, dass wir in den noch laufenden Atomkraftwerken Techniker, Arbeiter und Ingenieure haben, die für die Sicherheit dieser Atomkraftwerke garantieren an jedem Tag, den die Atomkraftwerke laufen. Ich glaube, dass wir in krisenhaften Zeiten gerade mehr Sicherheit brauchen und nicht mehr Risiko.

Ich glaube, dass diese Arbeiter, Techniker und Ingenieure in den Atomkraftwerken so etwas wie einen Murmeltiertag hatten, als Herr Merz und Herr Söder im August in ihren weißen Anzügen dort auftauchten und sagten, sie wären im Reaktor gewesen und hätten festgestellt – sinngemäß –, dass alles in Ordnung ist. Ich halte das für keinen verantwortlichen Umgang mit der Atomkraft. Deshalb sage ich Ihnen: Die Entscheidung zum Atomausstieg steht!

Der 2011 in einem breiten Konsens beschlossene Atomausstieg kommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich verstehe gar nicht, warum Sie nicht stolz darauf sind, dass dieser Atomausstieg kommen wird. Sie haben ihn seinerzeit gemeinsam mit der FDP beschlossen, und das war verantwortungsvolle Politik, die Sie damals durchgeführt haben. Sie haben damit einen jahrzehntelangen gesellschaftlichen Konflikt in unserem Land befriedet. Es geht hier nicht um das Lebenswerk von Herrn Trittin, sondern darum, dass Frau Merkel als damals zuständige Bundeskanzlerin diesen Atomausstieg in unserem Land mit unserer Unterstützung umgesetzt hat.

Sie können mit Ihrem Gesetzentwurf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Ihnen jetzt darum geht, diese Entscheidung zurückzudrehen. Herr Bilger, schauen Sie sich Ihre Rede noch mal an. Sie sind genau an der Stelle ins Stottern gekommen, als es darum ging, dass Ihr Gesetzentwurf eine Laufzeitverlängerung nicht nur bis 2024 ermöglichen möchte, sondern auch darüber hinaus. Sie wollen das Rad der Geschichte der Atomkraft in Deutschland zurückdrehen, und das wird nicht passieren.

Es ist verantwortungslos, wenn Sie mit einer Hochrisikotechnologie so umgehen als wäre es eine Kaffeemaschine, die Sie ab und zu mal an- und ausschalten und mit etwas Wasser neu befüllen können, in die Sie einen neuen Filter reinmachen und sie dann wieder anschalten.

Es hat drei Gründe, warum wir in Deutschland durch einen Gesetzentwurf der CDU/CSU aus der Atomkraft ausgestiegen sind. Erstens: Die Nutzung ist risikoreich; Tschernobyl, Fukushima und andere Katastrophen haben das gezeigt. Zweitens: Sie ist teuer, und sie produziert hochgiftige Hinterlassenschaften, mit denen noch viele Generationen fertig werden müssen. Und drittens: Die Sicherheitslage von Atomkraftwerken in Europa hat sich im Februar 2022 massiv und radikal geändert. Sie sind zum Kriegsziel des Krieges Russlands gegen die Ukraine geworden, und das ist wenige Hundert Kilometer von hier entfernt.

Ich zumindest habe mir nicht vorstellen können, als ich gegen Atomkraft demonstriert habe – aus guten Gründen; ich habe sie Ihnen hier genannt –, dass wir über den Wiedereinstieg in die Atomkraft auf Initiative der CDU/CSU diskutieren, während diese Kraftwerke wenige Hundert Kilometer von uns entfernt zu Kriegszielen geworden sind.

Deshalb wird es keinen Wiedereinstieg in die Atomkraft geben. Wir werden – das haben Minister Habeck und ich angekündigt – jetzt sorgfältig prüfen, ob für den kommenden Winter zwei der noch drei laufenden AKW möglicherweise als Reserve gebraucht werden, um auf eine mögliche krisenhafte Zuspitzung der Versorgungslage reagieren zu können. Gerade das drastische Versagen der Atomkraftwerke in Frankreich wird diese Entscheidung hier in Deutschland möglicherweise erzwingen. Deshalb ist es richtig, eine Bereitschaftsreserve vorzuhalten, aber es ist nicht richtig, daraus mit billigem Populismus die Konsequenz zu ziehen, die Nutzung der Atomkraft um mehrere Jahre verlängern zu wollen.

Verantwortung zu übernehmen, heißt auch, transparent und ehrlich zu kommunizieren. Das haben wir in dieser Woche getan, nachdem wir Kenntnis davon erhalten haben, dass es eine Ventilleckage am AKW Isar 2 gibt. Diese stellt im laufenden Betrieb kein Sicherheitsproblem dar – das habe ich direkt gesagt –, aber es ist ein technisches Problem. Jetzt muss darüber entschieden werden, wie wir damit umgehen.

Es ist ein lange absehbares, es ist ein berechenbares, es ist ein mechanisches Problem, das dort vorliegt. Es führt aber dazu, dass das AKW jetzt im Herbst, wo wir auch schon eine problematische Stromsituation aufgrund der fehlenden Atomkraftwerke in Frankreich haben, vom Netz genommen werden muss. Dass diese Information uns von der bayerischen Atomaufsicht nicht rechtzeitig mitgeteilt worden ist, lasse ich hier mal unkommentiert im Raume stehen.

Wir werden die notwendigen Antworten auf die gegenwärtige Energiesituation geben, indem wir erstens die Erneuerbaren radikal ausbauen werden, indem wir zweitens Energieeffizienz und Energieeinsparung vorantreiben werden und indem wir drittens in diesem Winter noch einmal auf alte Energieversorgungsformen zurückgreifen und dafür auch den Reservebetrieb für zwei der drei noch laufenden AKW ermöglichen werden, wenn er notwendig ist.

Vielen Dank. «


Quelle: Bulletin 117-2 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 23. September 2022

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