Veröffentlicht am: 28.10.2022 um 17:26 Uhr:

Bundesregierung: Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Robert Habeck, in der Aktuellen Stunde zur Gewährleistung der Energieversorgung vor dem Deutschen Bundestag

Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Robert Habeck, hat in der Aktuellen Stunde zur Gewährleistung der Energieversorgung vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 2022 in Berlin nachfolgende Rede gehalten...

» Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Diese Aktuelle Stunde könnte nicht aktueller sein, so wie die ganze Plenardebatte natürlich spiegelt, was gerade in diesem Land los ist. Wir erleben eine schwere Energiekrise, ausgelöst durch den Verlust an Energieproduktion. Russland hat die Gaslieferungen eingestellt. In einem Volumen von 55 Milliarden Kubikmetern Gas – das ist die Menge, die über Nord Stream 1 gekommen ist – muss Gas auf dem Weltmarkt neu beschafft werden. Und in Frankreich ist über die Hälfte des nuklearen Atomparks ausgefallen; es gibt große Probleme, diese Stromkapazitäten wieder ans Netz zu bringen. Beides zusammen treibt die Preise nach oben; beides zusammen hat einen externen Schock ausgelöst, der das Land, die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Unternehmen in Deutschland schwer trifft.

Man muss sich trotzdem noch einmal klarmachen, dass mit diesem externen Schock hier eine andere Ursache für die hohe Inflation verantwortlich ist als beispielsweise in den USA, wo die expansive Fiskalpolitik die Nachfrage so stark nach oben gebracht hat. Wenn man erkennt, dass, obwohl die Auswirkungen ähnlich sind, die Ursachen verschieden sind, hat man einen ganz guten Fahrplan dafür, welche politischen Instrumente in Deutschland notwendig sind, um diese schwierige Phase politisch zu begleiten und die Unternehmen in Deutschland dabei zu unterstützen, in diesem schweren Wasser, in das sie geraten sind, zu bestehen.

Wenn ich das einmal ausführen darf: In diesem Fall wird es nicht reichen, dieser wirtschaftspolitischen Situation nur mit Geldpolitik, also mit höheren Zinsen, zu begegnen, sondern wir müssen die fiskalpolitischen Instrumente ebenfalls nutzen.

Wir müssen sie selbstverständlich so nutzen, dass wir nicht in engen Märkten die Nachfrage noch stimulieren. Das würde die Inflation nur in die Höhe treiben. Aber wenn wir sie geschickt und klug nutzen, dann werden wir die Unternehmen und die Menschen so entlasten, dass die ökonomische, die volkswirtschaftliche Substanz in diesem Land erhalten, bewahrt und geschützt werden kann. Das tut die Bundesregierung zielgenau und mit hoher Anstrengung – nicht erst seit Beginn des Krieges, sondern schon davor. Ich nenne die Punkte im Einzelnen – sie sind ja in der Plenardebatte schon mehrfach angesprochen worden; deswegen gehe ich nicht in die Details hinein.

Erstens: unter Hochdruck und mit großer Geschwindigkeit Erweiterung und Aufbau einer neuen Infrastruktur. Neuaufbau, was die Möglichkeiten angeht, LNG-Gas nach Deutschland zu bekommen; Erweiterung, was die bestehenden Netze angeht. Das Interessante und Entscheidende dabei ist, dass alles, was wir tun, auch auf die Zukunft ausgerichtet ist. Die Terminals, die Leitungen, die Verdichterstationen – alles wird auch auf Wasserstoff ausgelegt, sodass wir die Investitionen in die Infrastruktur auch in Zukunft für die Energiesicherheit in Deutschland nutzen können.

Zweitens: Erweiterung der Energiekapazitäten, die zur Verfügung stehen. Das sind die Erneuerbaren mit den Begrenzungswegnahmen bei Biomasse, Solar und Wind. Das sind auch Kohlekraftwerke. Und wo so viel über Pragmatismus und das, was dem entgegensteht, geredet wird, will ich für mich sagen: Das ist für mich die schwerste Entscheidung gewesen, weil ich glaube, neben der aktuellen Krise, dem Ukrainekrieg, ist die eigentliche Herausforderung, an der wir als politische Generation gemessen werden, die globale Erderwärmung, die Klimakrise. Wenn wir da versagen, werden wir als politische Generation versagt haben. Deswegen ist es natürlich – eigentlich – nicht richtig, Kohlekraftwerke, die da nichts mehr zu suchen haben, erneut in den Markt zu bringen. Trotzdem haben wir das getan, um das Energieangebot zu erweitern. Auch die Atomkraftwerke – so muss man es doch sehen – stehen zur Verfügung, wenn sie gebraucht werden, um weiter eingesetzt zu werden, solange sie Brennelemente haben. Also Ausweitung des Energieangebotes.

Drittens: Entlastungen nicht nur im privaten Bereich – die sind mehrfach diskutiert worden –, sondern auch im Energiebereich: EEG-Umlage abgeschafft, Mehrwertsteuer auf Gas gesenkt.

Viertens – und darüber reden wir jetzt –: Stützung der Unternehmen. Ich kann ankündigen, dass wir die sogenannte KUEBLL-Liste – im Energiekostendämpfungsprogramm werden nur Unternehmen berücksichtigt, die im internationalen Wettbewerb stehen – erweitern werden beziehungsweise alternativ den Unternehmen Mittel zur Verfügung stellen, die Verluste machen, sodass also alleine die Verlustrechnung reicht, um antragsberechtigt zu werden, um im Rahmen des Energiekostendämpfungsprogramms Anträge stellen zu können beziehungsweise Unterstützung zu bekommen. Das gilt für die Industrie.

Für den Mittelstand, für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, ist die Arbeit von meinem Haus geleistet. Die Programme sind justiert. Sie müssen jetzt in der Koalition abgestimmt werden; aber sie müssen schnell an den Start kommen. Und ich will auch sagen, dass sie erstens rückwirkend gelten müssen – meiner Vorstellung nach ab September, sodass nicht die Unternehmen darunter leiden, wenn sich die politische Landschaft noch eine oder zwei Wochen mehr Zeit nimmt – und wir zweitens sicherlich eine Logik finden sollten, schnell Abschlagszahlungen zu gewähren, und nicht das Geld erst dann auskehren, wenn es zu spät ist.

Wir sind – und damit komme ich zum Anfang meiner Rede zurück – in einer Situation, in der die Unternehmen unsere Unterstützung brauchen, um die ökonomische, die volkswirtschaftliche Substanz in Deutschland zu schützen – oder zu verteidigen. Wir haben zur Landesverteidigung ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen aufgelegt. Das ist richtig und notwendig gewesen, weil wir gesehen haben, dass der Idealismus der letzten Jahrzehnte an Putins Machtwahn zerschellt ist. Aber mit der gleichen Entschlossenheit dürfen wir jetzt zur Verteidigung der volkswirtschaftlichen Substanz dieses Landes ebenfalls nicht zögern, die finanziellen Möglichkeiten zu mobilisieren, die notwendig sind.

Ich als Wirtschaftsminister und als Bürger dieses Landes finde es jedenfalls notwendig, dass wir, auch mit Blick auf die spezifische Situation von Inflation und drohender Rezession in Deutschland, auf die potenzielle Kraft dieses Landes vertrauen. Wir sind ein starkes Land. Wir haben die finanzpolitische Solidität. Wir haben die finanziellen Möglichkeiten. Wir haben die demokratische Grundsubstanz – und die haben andere Länder in Europa inzwischen nicht mehr –, um diese Krise gemeinsam zu bestehen. Wir werden sie einsetzen, um damit die Volkswirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, zu schützen und zu verteidigen.

Vielen Dank. «


Quelle: Bulletin 117-4 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 23. September 2022

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