Veröffentlicht am: 01.11.2022 um 13:31 Uhr:
Bundesregierung: Rede des Bundesministers der Finanzen, Christian Lindner, zur Gesetzesänderung zur temporären Umsatzsteuersatzsenkung auf Gaslieferungen
» Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir befinden uns in einem Energiekrieg. Knappheiten beim Gas werden zu einer Waffe gemacht. Diese Waffe wird gegen uns eingesetzt – gegen unsere Wirtschaft, gegen die Menschen in diesem Land. Das Ziel ist klar: Es soll unser Wohlstand erschüttert werden, es soll unsere wirtschaftliche Struktur getroffen werden, um am Ende dafür zu sorgen, dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt erodiert, mit der Absicht, dass die Solidarität dieses Landes gegenüber der Ukraine endet. Das ist das Kalkül von Putin. Wir senden das klare Signal aus: Er wird mit dieser Absicht scheitern.
Wir setzen unsere wirtschaftliche Stärke ein, um die Menschen in diesem Land und unsere Wirtschaft zu schützen, um das, was Menschen sich über Jahrzehnte an persönlichem, aber auch an gesellschaftlichem Wohlstand aufgebaut haben, und um unseren Mittelstand, die Industrie, all das, was soziale Sicherheit und wirtschaftliche Stärke in diesem Land ausmacht, zu bewahren. Die temporäre Senkung der Umsatzsteuer auf Gas und im Übrigen auch Fernwärme fügt sich ein in ein Maßnahmenpaket, das die Bundesregierung in den vergangenen Wochen und auch in dieser Woche, am gestrigen Tag, noch einmal präzisiert hat. Die Gaspreise steigen, und der Staat darf nicht Profiteur dessen sein, dass für die Menschen das Leben teurer wird.
Wir unternehmen alles, um die Gaspreise insgesamt zu reduzieren: Der Bundeskanzler ist im Ausland unterwegs, um langfristige und günstige neue Lieferquellen zu erschließen. Wir nutzen die durch öffentliches Geld aufgefüllten Gasspeicher im Winter, um ebenfalls Marktsignale zu senden, indem wir auch wieder ausspeichern. Wir sorgen für Energieeffizienz. Und wir beraten, gerade heute übrigens, auf der europäischen Ebene über andere, gemeinsame Maßnahmen.
Der Gaspreis muss insgesamt runter; aber er wird immer noch so hoch bleiben, dass er für die Menschen und die Wirtschaft eine Belastung darstellt. Deshalb leistet der Staat seinen Beitrag dadurch, dass er seine Steuerlast auf diesen Gaspreis reduziert. Wir haben entschieden, auch die Fernwärme in diese temporäre Steuersenkung miteinzubeziehen. Damit werden den Menschen gesamtstaatlich weitere 2,1 Milliarden Euro Entlastung für die Laufzeit dieser Maßnahme als Vorteil zuteil.
Diese Maßnahme heute fügt sich in den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Abwehrschirm gegen diesen Energiekrieg ein. Wir mobilisieren über die Ertüchtigung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds 200 Milliarden Euro zweck- und zielgerichtet für Maßnahmen, die im engen Zusammenhang mit dem Energiekrieg stehen. Es geht nicht darum, allgemeine Vorhaben der Ampelkoalition, so wünschenswert sie auch seien, zu verwirklichen; sondern es geht darum, jetzt solidarisch mit den Menschen in diesem Land zu sein und unsere wirtschaftliche Stärke zu mobilisieren, um sie für die Zukunft zu erhalten.
Damit senden wir gewissermaßen ein doppeltes Signal. Das erste Signal ist eines an Putin, dass wir uns in unserer Haltung nicht erschüttern lassen, sondern eine All-in-Strategie wählen, um unser Land zu schützen. Wir senden aber auch ein zweites Signal, ein Signal an die internationalen Kapitalmärkte: Wir stellen einen Abwehrschirm auf, um uns zu schützen. Hinter diesem Abwehrschirm aber werden wir weiter gemäß den Regeln der Schuldenbremse wirtschaften – ein klares Signal an die Kapitalgeber auf der Welt, an diejenigen, die deutsche Staatsanleihen kaufen. Der Goldstandard der Staatsfinanzierung wird weiter Deutschland sein. Hinter dem Abwehrschirm bleiben wir solide. Damit ist ein Signal gesendet, dass wir in der Kontinuität der deutschen Stabilitätspolitik verbleiben werden.
Hinter diesem Abwehrschirm schützen wir nicht nur unsere Staatsfinanzen in der langfristigen Kontinuität, sondern wir erneuern auch unsere Energieversorgung und bringen alle Kapazitäten ans Netz, die wir haben, etwa Kohle. Wir beschleunigen den Zubau der erneuerbaren, von mir so genannten Freiheitsenergien. Und wir sind auch Schritte gegangen, um Kernenergie für diese Krisensituation zu mobilisieren.
Es besteht zum Zweiten die Notwendigkeit, unsere Wirtschaft zu stärken und zu erneuern; denn das neue Normalniveau der Gaspreise wird höher sein als das, was wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gehabt haben. Wir nutzen also jetzt den Abwehrschirm mit der temporären Subventionierung von Energie inklusive der Senkung der Umsatzsteuer, um dahinter das deutsche Geschäftsmodell zu erneuern. Dafür mobilisieren wir auch im Bundeshaushalt Rekordinvestitionen. Aber das alleine wird nicht reichen; die Wirtschaft selbst muss sich ja erneuern. Der Beitrag, den die Politik dazu leisten kann, ist, sie nicht zusätzlich zu beschweren und zu fesseln.
Deshalb gehört zu diesem Abwehrschirm auch, dass zumindest die Bundesregierung auf unverhältnismäßige zusätzliche Bürokratielasten während der Zeit der Krise verzichten will. Wir haben ein Belastungsmoratorium verabredet. Ich glaube, sinnvoll wäre, über den Verzicht auf zusätzliche Belastungen hinaus, auch die gegenwärtigen Belastungen und Fesseln, die uns bremsen, in den Blick zu nehmen. Da gibt es noch unverändert viel zu tun. Alleine beim Fuel Switch, beim Wechsel von Energieträgern, haben wir unverändert so viele bürokratische Fesseln, die uns bei der Transformation bremsen. Es wäre ein guter Rat an uns, diese Fesseln zu lösen.
Vielen Dank. «
Quelle: Bulletin 123-1 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 4. Oktober 2022