Veröffentlicht am: 11.03.2023 um 07:10 Uhr:

Bundesregierung: Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, bei der Münchner Sicherheitskonferenz

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat die Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, am 18. Februar 2023 in München nachfolgende Rede gehalten...

» „Während wir hier sprechen, ist mein Land unter Wasser. Meine Mutter, meine Schwester haben ihr Zuhause verloren. Und das, obwohl mein Land so gut wie nichts zu dieser Krise beigetragen hat“

Das hat mir Hindu Oumarou Ibrahim, einer Aktivistin aus dem Tschad, gesagt, als ich auf einem Panel auf der Weltklimakonferenz im Herbst letzten Jahres saß. Und sie hatte Recht mit ihrer Eindringlichkeit, weil wir in diesem Moment sehr viel über die Überschwemmung in Pakistan gesprochen haben. Aber die Tschad-Katastrophe an uns vorbeigegangen ist. Und dabei spricht sie – wie so viele andere Menschen auf der Welt, die tagtäglich die Auswirkungen der Klimakrise erleben – für Millionen von Menschen auf der Welt. Schon jetzt werden dreimal mehr Menschen durch die Klimakrise vertrieben als durch Kriege. Die Klimakrise ist damit die größte Sicherheitsgefahr unserer Zeit. Und die Worte von Hindu Oumarou Ibrahim machen auf eine himmelschreiende Ungerechtigkeit aufmerksam. Denn die Staaten, die am meisten unter der Klimakrise leiden, haben am wenigsten zu ihr beigetragen.

Deswegen haben wir bei der Klimakonferenz in Sharm el Sheikh neue Finanzierungsmöglichkeiten für Schäden und Verluste für besonders verwundbare Staaten aufgesetzt. Deswegen arbeiten wir gerade als Industriestaaten an ambitionierten Klimazielen. Insbesondere in der Europäischen Union. Und ja, wir wissen, dass die Reduzierung von CO2, dass ambitionierte Klimaziele Geld kosten. Fachleute schätzen allein den Finanzierungsbedarf in Entwicklungs- und Schwellenländern auf 2,4 Billionen US-Dollar jährlich, um die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu bringen.

Aber wir wissen zugleich, und zwar schon seit langem, spätestens seit dem Stern-Report, dass jedes Zehntelgrad, was wir an Erderwärmung nicht in den Griff bekommen, doppelt oder dreifach so viel Geld kostet. Und vor allen Dingen – das erleben wir auf dramatische Art und Weise in den letzten Jahren – Menschenleben. Und zwar hunderte, tausende von Menschenleben.

Wir sehen, dass sich mit der Klimakrise eine andere globale Krise verschärft. 60 Prozent der Länder mit niedrigen Einkommen haben ein hohes Verschuldungsrisiko oder befinden sich bereits in einer Verschuldungskrise. Die weltweite Inflation, steigende Zinsen und ein starker Dollar wirken dabei wie ein Brandbeschleuniger auf dieses Problem. Und der russische Krieg ist jetzt noch hinzugekommen.

Wie gefährlich dieser Teufelskreis aus Schulden und Klimakrise ist, zeigt ein Blick auf den Inselstaat Dominica. Als im Jahr 2017 der verheerende Wirbelsturm Maria auf Dominica eingetroffen ist, hat er dort Schäden und Verluste in Höhe von 226 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von Dominica verursacht. 226 Prozent des Bruttoinlandproduktes! Das heißt, um diese Schäden zu reparieren, musste Dominica neue Schulden aufnehmen, und zwar zu viel höheren Zinssätzen als Industriestaaten. Dadurch hat nicht nur die Verschuldung erheblich zugenommen, es blieb auch viel zu wenig Geld, um sich auf den nächsten Sturm vorzubereiten. Das heißt, der Teufelskreis wird weiter verschärft.

So geht es wahnsinnig vielen Ländern auf dieser Welt. Ihnen fehlt Geld, um sich an die Klimakrise anzupassen. Das heißt, wenn die Klimakrise sie trifft, werden die Schäden noch höher sein. Ihnen fehlt aber auch Geld, um ein emissionsarmes Wirtschaftssystem aufzubauen. Ihnen fehlt Geld für wichtige soziale Investitionen in Bildung und Gesundheit. Ihnen fehlt im wahrsten Sinne des Wortes die Luft zum Atmen.

Wir sind heute hier – und bei vielen, anderen internationalen Konferenzen, insbesondere auch im Rahmen des Internationalen Währungsfonds –, um darüber zu sprechen, wie wir diesen Teufelskreis gemeinsam durchbrechen können. Ich möchte dabei zu Beginn zwei konkrete Punkte ansprechen.

Zum einen wollen wir gemeinsam die Weltbank so reformieren, dass sie ihr Geschäftsmodell stärker auf die Klimafinanzierung ausrichten kann – die größte Sicherheitskrise und damit auch die größte Gefahr für unsere Weltwirtschaft. Dazu gehört, dass sie noch stärker private Klimainvestitionen mobilisiert. Denn wenn die Weltbank hier vorangeht, dann können andere, insbesondere Entwicklungsbanken, diesem Weg folgen.

Dazu gehört aber auch, dass wir weniger finanzstarken Ländern mehr Investitionen in grüne Energien und Nachhaltigkeit ermöglichen. Wenn Entwicklungsländer teilweise viermal so hohe Zinsen am Kapitalmarkt zahlen müssen wie Industrieländer, dann rechnen sich viele grüne Investitionen nicht mehr. Und ehrlich gesagt ist es auch kein fairer Wettbewerb. Hier können multilaterale Entwicklungsbanken einen wichtigen Beitrag leisten, um Investitionsrisiken abzusichern und die Kosten damit zu verringern.

Zum anderen und ich glaube, das gehört zur Ehrlichkeit dazu, sollten wir alle Wege prüfen, die definitiv nicht einfach sind, um die Schuldenlast von verschuldeten Staaten zu erleichtern. Weil auch hier – das diskutieren wir auf der Münchener Sicherheitskonferenz – natürlich auch bei der Frage Entschuldung, Klimakrise – das haben wir auch auf der Klimakonferenz gesehen –, die geopolitischen Debatten nicht nur im Hintergrund dabei sind, sondern die Interessen von unterschiedlichen Akteuren mitprägen. Nichtsdestotrotz dürfen wir uns dieser Debatte, gerade weil sie so schwierig ist, nicht verweigern.

Das Gute ist, dass es schon viele innovative Ideen und Modelle dazu gibt. Frau Mottley ist wie gesagt eine der Vorreiterinnen. Zum Beispiel ein Schuldenmoratorium für Länder, die von Naturkatastrophen betroffen sind, oder Debt-for-Climate Swaps, mit denen Schulden erlassen werden könnten, die für Klimainvestitionen gebraucht werden.

Ich freue mich, darüber gleich hier mit Ihnen zu diskutieren. Sie fragen sich vielleicht: was hat jetzt die deutsche Außenministerin in dieser Debatte hier zu suchen? Wenn wir eigentlich über Zinsen und über Investitionsrisiken sprechen? Weil wir über ein integriertes Sicherheitsrisiko sprechen. Wenn wir über die Klimakrise sprechen, dann sprechen wir auch über die Sicherheit für uns alle auf dieser Welt. Und dann sprechen wir ganz entscheidend auch über Gerechtigkeit. Das heißt für mich, das heißt für uns als Bundesregierung, wo wir gerade eine integrierte Sicherheitsstrategie schreiben, dass wir eben nicht sagen können: „Hier ist der Klimaschutz, das macht das Innenministerium, hier die Außenpolitik mit geostrategischen Auswirkungen, hier ist das Wirtschaftsministerium mit Exportpolitik, und da ist das Finanzministerium.“ Das ist das Gegenteil von integrierter Sicherheit. Und das ist auch das Gegenteil einer vernetzten Welt. Und deswegen sind wir überzeugt: Wenn wir diese Krise effektiv angehen wollen, dann müssen wir das umfassend tun, als nationale Regierungen, aber auch umfassend als internationale Gemeinschaft.

Ganz entscheidend wird dabei sein, dass die internationale Gemeinschaft nicht nur staatliche Akteure beinhaltet, sondern dass wir privates und öffentliches Interesse und damit auch privates und öffentliches Kapital für klimafreundliche Investitionen brauchen. Das heißt, wir brauchen die Politik, den Finanzsektor, private Unternehmen, internationale Finanzinstitutionen, aber auch eine starke Zivilgesellschaft. Denn um sie geht es ja. Wenn wir über Entschuldung reden, dann reden wir vor allen Dingen darüber, was die Perspektiven für die Menschen in den betroffenen Regionen und Ländern sind. Es ist eine Debatte, die darum geht, wie wir hoch verschuldeten Staaten wieder Luft zum Atmen geben können. Denn nur wer atmen kann und nicht permanent nach Luft schnappen muss, der ist in der Lage, sich für die Zukunft stark zu machen: gegen die nächste Flut, bei der man nicht weiß, wann sie kommt, gegen den nächsten Wirbelsturm, gegen jedes weitere Zehntel Grad an Erderwärmung. Gegen die Klimakrise. Die größte Sicherheitsgefahr dieses Jahrhunderts. «


Quelle: Bulletin 22-4 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 22. Februar 2023

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