Veröffentlicht am: 14.08.2023 um 12:18 Uhr:
Bundesregierung: Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier bei einer Feier zum 75. Jubiläum des Deutsch-Französischen Instituts
» Ich freue mich sehr, heute hier bei Ihnen in Ludwigsburg zu sein, an diesem historischen Ort der deutsch-französischen Versöhnung! Wie gern wäre ich heute zusammen mit Präsident Macron bei Ihnen, wie es ja eigentlich geplant war. Und ich weiß, wie sehr es auch Emmanuel Macron bedauert, dass dieser Staatsbesuch – und der Besuch bei Ihnen – erst einmal nicht stattfinden kann. Wir Deutsche verfolgen die Entwicklung in unserem Nachbarland mit großer Aufmerksamkeit, und wie alle Franzosen wünschen auch wir uns, dass der soziale Friede wiederhergestellt werden kann und die Risse in der Gesellschaft geheilt werden können.
Sechzig Jahre ist es her, dass Charles de Gaulle und Konrad Adenauer den Élysée-Vertrag unterzeichneten. Er war nicht weniger als ein Wunder! Legte er doch das Fundament für die Aussöhnung zwischen den beiden großen Ländern im Herzen Europas, die sich jahrhundertelang meist als Rivalen, oft als erbitterte Feinde gegenübergestanden hatten. Heute ist unsere Freundschaft in allen Bereichen des Lebens so tief verankert, dass sie uns so selbstverständlich ist wie das Atmen.
Gleich nebenan, vor dem Ludwigsburger Schloss, hat Charles de Gaulle damals mit seiner Rede an die deutsche Jugend deren Herzen erobert. Wer damals jung war, für den war ein friedliches, geeintes Europa eine Verheißung. Diese Verheißung wahr werden zu lassen – das hat eine ganze Generation von Deutschen und Franzosen angetrieben und beflügelt – in der Wirtschaft, in der Politik, in allen Bereichen der Gesellschaft.
Ein geeintes Europa, das hat auch Sie alle beflügelt. Schon im Jahr 1948 gründete Fritz Schenk zusammen mit anderen Persönlichkeiten hier in Ludwigsburg das Deutsch-Französische Institut (DFI). Welch außergewöhnliches, welch visionäres Projekt war das, nur drei Jahre nach Kriegsende! Zu den Gründervätern gehörten große Europäer wie Carlo Schmid, Joseph Rovan, Alfred Grosser und auch der erste Bundespräsident, Theodor Heuss. „Die Menschen müssen sich treffen, müssen miteinander reden, sich kennenlernen, um sich besser zu verstehen“, hat Fritz Schenk damals gesagt. Dass genau das geschehen ist, dass Franzosen und Deutsche sich heute besser verstehen – das war und das bleibt das Fundament für ein geeintes Europa.
Wenn wir heute zurückschauen, dann können wir stolz sein auf das, was uns, Franzosen und Deutschen, gemeinsam gelungen ist. Die deutsch-französische Geschichte der letzten Jahrzehnte war geprägt vom Wunder der Versöhnung, von guter Nachbarschaft und wachsender Freundschaft. Der Blick ging über den Rhein.
Der Blick der jungen Menschen von heute ist weiter geworden. Er geht stärker hinaus in die Welt, über das Mittelmeer nach Afrika, über den Atlantik und den Pazifik. Und dieser Blick in die Welt ist geprägt von dem Wissen, vor welchen globalen Aufgaben wir stehen. Die Rückgewinnung des Friedens in Europa; langfristig die größte ist zweifellos die Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen; dazu kommen neue Konflikte und Kriege; neue Technologien, die große Chancen, aber auch große Risiken mit sich bringen. Und dieser veränderte Horizont, er gibt unseren beiden Ländern heute die Aufgaben vor. Ein starkes, souveränes Europa, das bleibt unser gemeinsames Ziel, und daran arbeiten wir mit aller Kraft!
Sie, das Deutsch-Französische Institut, haben schon einmal bewiesen, dass das Unmögliche möglich ist. Ich weiß, dass Sie auch an diesen neuen gemeinsamen Aufgaben mit aller Leidenschaft und großer Expertise arbeiten. Ich beglückwünsche das Deutsch-Französische Institut zu diesem 75. Geburtstag und danke Ihnen für alles, was das DFI und was Sie für die deutsch-französische Freundschaft getan haben! Und nun bin ich gespannt auf die Diskussion über Deutschland, Frankreich und Europa, die wir gleich führen werden. «
Quelle: Bulletin 77-1 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 4. Juli 2023