Veröffentlicht am: 07.08.2024 um 06:17 Uhr:
Bundesregierung: Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes
» Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fast 46 Millionen Beschäftigte, darunter 35 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, stehen morgens auf, arbeiten jeden Tag, halten unser Land am Laufen. Wir haben aber in den letzten Jahren erlebt und erleben auch aktuell, dass die vielen Krisen, die wir zu überstehen hatten – die Finanzkrise, die Coronapandemie, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des russischen Angriffskriegs und die Umbrüche in der Arbeitswelt, die Zeiten der Digitalisierung, des Umbaus der Industriegesellschaft hin zur Klimaneutralität –, zu wahnsinnigen Sorgen und zu Verunsicherung geführt haben. Wir alle spüren das täglich. Deshalb ist es wichtig, dass Beschäftigte Betriebsräte an ihrer Seite haben, dass betriebliche Mitbestimmung in diesem Land ein wirtschaftliches Pfund ist, mit dem wir in Deutschland rechnen können.
Ich habe in den vergangenen Jahren während meiner Amtstätigkeit oft erlebt, dass es Betriebsräte waren, die in Zeiten von Veränderungen und Krisen Verantwortung übernommen haben. Ich habe in einigen Fällen, in denen das Management das Unternehmen an die Wand gefahren hat, erlebt, dass es Betriebsräte waren, die für ihre Kolleginnen und Kollegen eingestanden sind, die nach neuen Investoren geguckt haben, die um Arbeitsplätze gekämpft haben. Ich habe erlebt, wie sich Betriebsräte für Arbeitsschutz und Gesundheit engagieren, für Weiterbildung und für Qualifizierung.
Heute ist der Tag, an dem wir mal den Tausenden von Betriebsräten, die Verantwortung für ihre Kolleginnen und Kollegen und für unsere Demokratie und ihre Unternehmen übernehmen, ganz, ganz herzlich Danke sagen.
Wer sich als Betriebsrätin oder Betriebsrat ehrenamtlich für seine Kolleginnen und Kollegen engagiert, muss sich allerdings auch sicher sein können, dass er deswegen keine beruflichen Nachteile erlebt. Da reichen warme Worte und Sonntagsreden nicht aus. Da braucht es klare gesetzliche Vorlagen. Das betrifft auch die Frage der Festsetzung von Betriebsratsvergütungen. Deshalb hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der für Rechtssicherheit und Klarheit sorgt.
Was ist der Hintergrund? Wir haben erlebt, dass in diesem Bereich Unsicherheit entstanden ist. Nach Jahren einer einschlägigen Rechtspraxis und Urteilen des Bundesarbeitsgerichtes hat es im Jahr 2023 ein Urteil des Bundesgerichtshofs gegeben, das zu dieser Unsicherheit geführt hat. In einer Reihe von Fällen haben Unternehmen aufgrund dieser Unsicherheiten die Vergütung von Betriebsräten herabgesetzt. Damit machen wir jetzt Schluss. Wir sorgen für Rechtssicherheit für Betriebsräte, für Anstand gegenüber Betriebsräten und übrigens auch für Rechtssicherheit für Personalverantwortliche in den Unternehmen. Das schafft Klarheit. Das stärkt die soziale Betriebspartnerschaft.
Ich habe nach dieser Rechtsunsicherheit, die entstanden ist, eine Kommission aus Rechtsgelehrten eingesetzt. Ihr gehörten der frühere Präsident des Bundessozialgerichts, Herr Professor Schlegel, die frühere Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Frau Schmidt, und ein erfahrener Arbeitsrechtsprofessor und Anwalt, Herr Thüsing, an. Sie sind im Leben, politisch und auch rechtlich, nicht immer einer Meinung, aber sie haben den Sachverhalt bewertet und uns einen sehr, sehr guten Vorschlag gemacht, für den wir uns herzlich zu bedanken haben. Wir haben auf Basis dieses Vorschlages unseren Gesetzentwurf entwickelt, und wir haben im Verfahren erlebt – das ist in diesen Tagen etwas Besonderes –, dass die Empfehlungen sowohl bei Arbeitgeberverbänden als auch bei Gewerkschaften auf große Zustimmung getroffen sind. Das zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Wir stärken mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die soziale Betriebspartnerschaft. Wir sorgen für Rechtssicherheit, und im Kern hilft dieser Gesetzentwurf auch, die Demokratie in den Betrieben zu stärken. Demokratie lebt nicht allein vom Deutschen Bundestag und den Parlamentariern, so wichtig wir alle sind oder uns manchmal auch selbst nehmen. Demokratie ist ein Prinzip für alle Teile unserer Gesellschaft und auch für die Arbeitswelt.
In mitbestimmten Unternehmen erleben Beschäftigte täglich, dass ihre Stimme zählt, dass sie mitgestalten können, dass nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Ich habe zum Beispiel auch erlebt, dass sich Betriebsräte immer dafür einsetzen, dass Recht und Gesetz, das dieser Bundestag schafft, in der Praxis stärker eingehalten wird als in einzelnen anderen Bereichen, in denen es keine Betriebsräte gibt. Ich habe zum Beispiel erlebt, dass Betriebsräte im guten Dialog mit ihren Personalverantwortlichen in der Coronapandemie, in ganz schwierigen Zeiten mitgeholfen haben, dass Arbeitsschutz und Hygienekonzepte umgesetzt werden.
Deshalb ist es wichtig, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf, der heute in zweiter und dritter Lesung hier abschließend im Bundestag beraten werden soll, tatsächlich beschließen. Ich will an dieser Stelle auch den Parlamentariern Danke sagen, die dafür gesorgt haben, dass das endlich gelungen ist; das richte ich insbesondere an die Adresse der Koalitionsfraktionen. Ich will stellvertretend für viele Kolleginnen und Kollegen meiner Parlamentarischen Geschäftsführerin Katja Mast danken, die sich liebevoll in den Gesprächen mit unseren ziemlich besten Freunden in der Koalition dafür eingesetzt hat, dass wir das jetzt abschließen können. Ich möchte mich aber ausdrücklich auch bei den Demokratinnen und Demokraten der anderen Fraktionen ganz herzlich bedanken. Ich rechne damit, dass wir heute eine breite Mehrheit im Bundestag für diesen Gesetzentwurf bekommen.
Damit haben wir übrigens die Frage, wie wir den Betriebsräten in Deutschland den Rücken stärken können, in dieser Legislaturperiode noch nicht abgeschlossen. Das will ich an dieser Stelle klar sagen. Denn nach dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz der Großen Koalition, das wir damals gemeinsam beschlossen haben, ist es Zeit, die Mitbestimmung weiterzuentwickeln und beispielsweise dafür zu sorgen, dass wir wieder mehr mitbestimmte Unternehmen haben und dass zum Beispiel Menschen, die einen Betriebsrat gründen wollen und drangsaliert werden, den notwendigen Schutz bekommen, den sie brauchen. Wir brauchen mehr Mitbestimmung in Deutschland. Dafür sorgen wir.
Herzlichen Dank. «
Quelle: Bulletin 62-1 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 1. Juli 2024