Veröffentlicht am: 01.11.2024 um 08:01 Uhr:
Bundesregierung: Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz beim Startup Germany Summit
» Lieber Robert,
lieber Christian,
sehr geehrte WIN-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
meine Damen und Herren,
es freut mich sehr, dass ich heute hier sein kann. Meine Anreise aus Zentralasien hat etwas länger gedauert, aber diesen Termin mit Ihnen allen hier wollte ich auf keinen Fall verpassen.
Umgekehrt bin ich natürlich sehr froh, dass Sie hier noch so zahlreich anwesend sind, um gemeinsam diesen Startup Germany Summit der Bundesregierung zu beschließen. Das war ja auch für Sie alle ein sehr langer und sehr reichhaltiger Tag – ich habe mir davon schon berichten lassen. Ein Tag, der gezeigt hat, wie vielfältig, dynamisch und erfolgreich die deutsche Startuplandschaft ist. Ein Tag, der gezeigt hat, wie umfassend Bund und Länder Startups mit ihren Instrumenten der Förderung und Finanzierung unterstützen, also mit Steuergeld. Ein Tag, der wiederum neue Impulse gesetzt hat, inhaltliche Impulse, aber auch Impulse für die noch bessere Vernetzung aller Akteurinnen und Akteure.
Einen Höhepunkt des Tages haben wir gerade erlebt. Das war die Unterzeichnung der Absichtserklärung zur Initiative Wachstums- und Innovationskapital für Deutschland, eben kurz WIN. Die WIN-Initiative ist eine gute Nachricht für unsere Startups und eine gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland überhaupt, denn das grundsätzliche Problem ist ja dieses: Die Wachstumsperspektiven in Europa, auch hier bei uns in Deutschland, sind noch immer erheblich ungünstiger als die Wachstumsperspektiven etwa in den USA. Dieser Rückstand hat damit zu tun, dass unser Kapitalmarkt fragmentiert ist und dass das viele Geld, das hier existiert, nicht ausreichend in das Wachstum von Unternehmen investiert wird. Unsere Unternehmen brauchen bessere Finanzierungsmöglichkeiten, damit sie hier in Deutschland und Europa wachsen können und nicht wegen mangelndem Kapitalzugangs beispielsweise in die USA abwandern.
Genau hier muss Europa also dringend aufholen. Wir müssen es endlich schaffen, dass das viele Geld, das in Europa real vorhanden ist, auch privatwirtschaftlich in europäische Unternehmen und ihr Wachstum investiert wird. Deshalb setzen wir uns auf der europäischen Ebene auch weiterhin vehement dafür ein, dass die Vertiefung der Kapitalmarktunion vorankommt.
Zugleich setzen wir schon heute mit der WIN-Initiative für mehr Wachstums- und Innovationskapital ein wichtiges Aufbruchssignal für Deutschland. Damit mobilisieren wir Investitionen in Wagniskapital, in Startups und in zukunftsweisende Technologien. Damit stärken wir den deutschen Wachstumskapitalmarkt und zugleich die Innovationskraft unserer Wirtschaft. Denn wir wollen unseren Wohlstand erhalten und unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Wenn wir das erreichen wollen, dann brauchen wir eben nicht nur eine starke Industrie und einen starken Mittelstand – die brauchen wir unbedingt. Vielmehr ist eine dynamische Gründungslandschaft als Treiber der Transformation mindestens genauso entscheidend.
Das war übrigens schon immer so. Das Weltunternehmen Siemens war einmal ein Startup mit einer Idee und zehn Mitarbeitern, 1847 gegründet in einem Hinterhof in Berlin-Kreuzberg. Der Halbleiterhersteller NXP ist im Wesentlichen aus Philips erwachsen und entwickelt – übrigens gemeinsam mit Startups – auch Quantencomputer. Aber hervorgegangen ist auch NXP selbst nicht zuletzt aus einem kleinen Startup für Röntgenröhren in Hamburg-Hammerbrook am Anfang des vorigen Jahrhunderts. Auch SAP war einmal ein Startup, bestehend nur aus Dietmar Hopp, Hasso Plattner und drei weiteren jungen Männern, die sich Anfang der 70er Jahre in der Mannheimer Filiale von IBM kennengelernt hatten. Der Rest ist Geschichte. Aber solche Unternehmensgeschichten müssen in Deutschland auch heute möglich sein – und erst recht in der Zukunft.
Von der guten Idee zum Startup zum Welterfolg: Das ist die Aufgabe. Und daran arbeiten wir jetzt gemeinsam. Deshalb danke ich heute noch einmal allen beteiligten Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft und Verbänden für ihren Einsatz in den letzten Monaten. Ich danke den Teams in der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), im Bundesministerium der Finanzen, im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und auch in meinem Haus. Wir alle zusammen haben diese WIN-Initiative möglich gemacht. Wir alle zusammen setzen damit einen weiteren wichtigen Baustein für eine zukunftsfähige Startuplandschaft in Deutschland. Das zeigt, was Staat und Wirtschaft gemeinsam für den Standort leisten können, wenn gute Ideen und der Wille zum Aufbruch zusammenkommen.
Von Ideen und von Aufbruch zeugt aber nicht nur dieser heutige Startupgipfel. Die gesamte Startuplandschaft in Deutschland ist in Bewegung, nach vorne und nach oben – mit Mut und Zuversicht und mit Unternehmergeist. Erkennen lässt sich das am Gründungsgeschehen: So wurden in Deutschland im ersten Halbjahr 2024 fast 1.400 Startups neu gegründet, 15 Prozent mehr als im Halbjahr davor. Erkennen lässt sich das mittlerweile an rund 30 „Einhörnern“ in Deutschland. Erkennen lässt sich das an den vielen Startuphotspots in Deutschland, etwa in Berlin, Hamburg, München und vielen anderen Städten, aber auch in der Nähe von Forschungshochburgen wie Aachen und Heidelberg.
Erkennen lässt sich das an den vielen Veranstaltungen, die es mittlerweile von und für Startups gibt – zum Beispiel die HTGF Family Days; die Messe Bits & Pretzels; die Veranstaltung Stage 2, bei der Ausgründungen aus der Wissenschaft im Mittelpunkt stehen; die VC-Academies der KfW; dazu noch diverse Formate der Bundesländer. Erkennen lässt sich der Aufwärtstrend auch an den Studien, die es mittlerweile zu Startups in Deutschland gibt. Erkennen lässt sich die Dynamik am Interesse deutscher und internationaler Investoren an den hiesigen Startups.
Erkennen lässt sich das an der Verbändelandschaft, etwa daran, dass der Bundesverband Deutsche Startups, erst 2012 gegründet, inzwischen schon 1.200 Mitglieder hat. Liebe Frau Pausder, das ist eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte. In diesem Jahr hat Ihr Verband schon zum fünften Mal die German Startup Awards ausgerichtet. Letztes Jahr konnte ich selbst dabei sein. Gerade erst haben Sie Ihre Innovationsagenda 2030 vorgestellt – Untertitel: „Weltklasse Made in Germany“.
Genau darum muss es uns allen in der Tat gehen. Genau das muss unser Anspruch sein. Startups sind dafür ganz entscheidend. Sie sind wichtig für Innovationen, für Wettbewerbsfähigkeit, für künftiges Wachstum und neue Arbeitsplätze. Das gilt erst recht in einer Zeit, in der sich die geopolitischen Kräfteverhältnisse deutlich verschieben, einer Zeit, in der mit dem brutalen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine der Imperialismus wieder zurückgekehrt ist nach Europa, einer Zeit, in der uns die industrielle und die digitale Transformation vor völlig neue Aufgaben stellt.
Wenn wir in Deutschland alle diese Herausforderungen bewältigen wollen – und das müssen wir ja schaffen –, dann brauchen wir als Motoren der Innovation gerade auch junge und dynamische Unternehmen. Deshalb hat die Bundesregierung die Rahmenbedingungen für Startups in Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert. Und diesen Weg werden wir fortsetzen. Nur ein paar Schlaglichter will ich nennen:
Die Bundesregierung hat zügig ihre Startupstrategie erstellt und bereits im Sommer 2022 verabschiedet. Rund 80 Prozent der Maßnahmen sind inzwischen verwirklicht. Das reicht von Talentgewinnung über Diversität und die Stärkung von Gründerinnen bis hin zur Ausgründung aus der Wissenschaft und zu Reallaboren.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Finanzierung. Und gerade hier haben wir versucht, vieles voranzubringen. Mit dem Zukunftsfonds stellt die Bundesregierung bis 2030 zehn Milliarden Euro zur Verfügung, hebelt damit auch private Investitionen und stärkt so die Wachstumsfinanzierung in Deutschland. Mit dem Wachstumsfonds Deutschland haben wir Mittel von institutionellen Investitionen mobilisiert. Der Fonds hat Ende letzten Jahres sein Zielvolumen von einer Milliarde Euro erreicht und ist bereits in rund 25 Venture Capital Fonds investiert. Der DeepTech & Climate Fonds wiederum ist bereits in rund zehn Technologiestartups investiert, darunter ein Startup, das Quantencomputer entwickelt, ein Startup, das komprimierte Algorithmen für den Betrieb von Quantencomputern entwickelt, und ein Startup, das ein Fusionskraftwerk bauen will.
Auch das bewährte Förder- und Finanzierungsinstrumentarium entwickeln wir stetig weiter. Der Hightech Gründerfonds IV zum Beispiel hat mit fast 500 Millionen Euro eingesammeltem Kapital und rund 45 beteiligten Investoren alle Erwartungen übertroffen. Mit dem ersten Zukunftsfinanzierungsgesetz verbessern wir die Bedingungen für innovationsstarke junge Unternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nachhaltig, modernisieren den Finanzplatz Deutschland und stärken die Aktienkultur in Deutschland. Vor allem haben wir die Mitarbeiterkapitalbeteiligung gestärkt, damit Deutschland noch attraktiver wird für hoch qualifizierte Arbeitnehmer.
Wir haben auch Maßnahmen ergriffen, um Börsengänge zu erleichtern. So öffnen wir auch kleinen Unternehmen den Weg an den Kapitalmarkt. Genauso wichtig: Die Finanzmarktaufsicht modernisieren wir weiter. Mit dem Gesetzentwurf zum Zweiten Zukunftsfinanzierungsgesetz schließlich wollen wir an den Erfolg des Vorgängers anknüpfen und die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des Finanzstandortes Deutschland weiter stärken.
Das alles zusammen zeigt: Wir geben Impulse. Aber es bleibt dabei: Am Ende kommt es auf das Engagement privater und institutioneller Investoren an. Und genau deshalb ist der heutige Fortschritt mit der WIN-Initiative so besonders wichtig und erfreulich.
Neben der Finanzierung vergessen wir aber auch nicht die weiteren Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Modernisierung und Wachstum. Ich will hier nur drei Punkte nennen, weil sie gerade für Startups so entscheidend sind:
Erstens: Chips, und zwar sehr viele. Wir stärken und entwickeln die Mikroelektronik hier in Deutschland weiter, etwa durch die Förderung des neuen Joint Ventures von TSMC mit Infineon, Bosch und NXP in Dresden, das kürzlich mit dem Bau begonnen hat, und – das will ich sagen – mit weiteren Investitionsprojekten. Unser Mikroelektronikfinanzierungsprojekt umfasst fast 30 Projekte, etwas mehr sogar.
Es gibt auch welche, die nicht vorankommen. Das haben wir gerade wieder erlebt. Ich finde, das ist ein Argument, in dieser Sache voranzukommen. Denn eigentlich sind bei dieser ganz wichtigen Ressource für die Zukunft unseres Technologiestandortes vor langer Zeit falsche Weichenstellungen getroffen worden. Wir hatten ziemlich große Player, auch auf dem ganzen Weltmarkt, was Mikroelektronik betrifft. Die gibt es immer noch. Die heißen jetzt NXP und Infineon. Sie hatten früher andere Namen. Bosch gibt es auch noch und viele andere. Sie sind noch da. Aber die großen Investitionen haben zu einer bestimmten Zeit nicht stattgefunden wegen der hohen Kapitalbindung und der Fluktuation, wie wir sie jetzt auch bei Intel gesehen haben. Das Unternehmen ist weltweit in Schwierigkeiten geraten und jetzt zu einer Pause seiner Investitionen gekommen. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass wir das damals nicht gemacht haben und überall in der Welt Halbleiterfabriken entstanden sind.
Das war irgendwie gut, solange man gedacht hat, das ist irgend so eine „Commodity“. Aber in Wahrheit ist das nicht so. Darum herum verbinden sich ganz viele Strukturen, die für die Zukunftsfähigkeit unseres Standortes von zentraler Bedeutung sind. Und deshalb sage ich ausdrücklich: Wir werden dafür Sorge tragen, dass Deutschland nicht nur das Zentrum der Halbleiterproduktion in Europa bleibt, sondern sein Gewicht in dieser Frage auch weiter ausbaut. Es ist gut, dass dort vieles klappt, auch wenn einiges dabei schwierig wird. Es muss dieser Weg gegangen werden.
Nun gibt es ja viele Dinge, die man hier noch anführen kann, wo alles vorankommen muss, ob das nun Photovoltaik, die Windenergie, der Ausbau unseres Stromnetzes und all die Investitionen sind, die stattfinden. Das muss jetzt sein. Wir brauchen Innovation für Deutschland. – Ich wollte das an dieser Stelle noch dazu sagen, weil uns das gerade aktuell bewegt.
Zweitens: Fachkräfte, Fachkräfte, Fachkräfte. Die Regelungen des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes werden dazu beitragen, dass wir in Deutschland auch in Zukunft die Arbeitskräfte haben, die wir brauchen. Auch an einfachen und digitalen Visaverfahren wird intensiv gearbeitet. Vielleicht hat ja jemand von Ihnen die bahnbrechende Idee, wie das geht, dass das schnell und einfach ist. Und wir schließen moderne Migrationsabkommen. Gerade haben wir eins mit Usbekistan unterzeichnet. Wir hatten vergangene Woche eins mit Kenia. Damit ist Nairobi, Afrikas Startuphauptstadt, für uns auch an diese Möglichkeiten angebunden.
Und drittens: Weg mit überflüssigen Regelungen. 80 Prozent der über 150 zwischen Bund und Ländern vereinbarten Beschleunigungsvorhaben sind schon in Arbeit. Das muss ich an dieser Stelle kurz zwischendurch sagen. Echt, wir haben 150 Beschleunigungsmaßnahmen vereinbart. Kaum einer hat es mitbekommen. Und wir haben sie umgesetzt. Auch das hat noch keiner mitbekommen. Aber alles zusammen wird dazu beitragen, dass sich etwas ändert. Denn ehrlicherweise haben wir in den letzten 30 Jahren so viele Vorschriften aufgebaut, dass weder die Verwaltung noch die Unternehmen damit zurechtkommen können, also eigentlich gar keiner. Das ist eine Situation, bei der wir es nicht lassen können. Das müssen wir ändern. Darum wollen wir vorankommen und auch bei Planungs- und Genehmigungsverfahren die Digitalisierung mit vorantreiben, weil das auch helfen kann, Dinge schneller zu machen.
Und wir beginnen in einzelnen Verfahren bereits von Anfang an, Künstliche Intelligenz (KI) zu nutzen, zum Beispiel bei den vielen nötigen Genehmigungen zum Aufbau unseres Wasserstoffnetzes. Da hoffen wir, dass wir mehr davon lernen. Denn auch das gehört zu den Wahrheiten, die wir nicht vergessen dürfen. In allen europäischen Ländern, in vielen Ländern, ist es mit der Produktivität nicht so vorangekommen, wie man sich das gedacht hat.
In zwei Bereichen ist das besonders relevant: Dienstleistungen und öffentliche Verwaltung. Wenn wir dort jetzt mit Digitalisierung, mit KI, mit all den Technologien und einer Entschlackung der Genehmigungsverfahren nachholen können, dann, glaube ich, kann das einen richtigen Boost für Investitionen und Unternehmertum in Deutschland auslösen.
Da, wo ich das konkret beschrieben habe, wird durch die KI versucht, eine Bearbeitungszeit von acht Stunden auf eine Stunde zu reduzieren. Vielleicht geht es ja noch schneller – also sehr interessant. Als Teil unserer Wachstumsinitiative werden wir Berichts- und Nachweispflichten weiter konsequent abbauen. Außerdem werden wir regelmäßige Praxischecks durchführen.
Wer die Zukunft gewinnen will, der darf nicht ständig in die Vergangenheit schauen und den Leuten erzählen: „Früher war alles besser.“ Das stimmt nämlich nicht. Ich wünsche mir ein zukunftsfähiges und zuversichtliches Deutschland, ein Land, das Lösungen für alle Herausforderungen aus eigener Kraft entwickelt, gemeinsam mit unseren europäischen und internationalen Partnern.
Vielen Dank an das Wirtschaftsministerium für die Organisation des heutigen Tages. Vielen Dank an Sie und an alle, die heute hier dabei waren. Vielen Dank an alle, die bei uns in Deutschland für Innovationen, für Startups und den Standort Deutschland arbeiten. Lassen Sie uns neugierig und kreativ bleiben. Lassen Sie uns den Drive von heute mitnehmen und gemeinsam für eine gute Zukunft unseres Landes arbeiten – mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft in einer freien, weltoffenen und innovationsfreudigen Gesellschaft. Das ist der Weg. Und diesen Weg werden wir gemeinsam gehen.
Schönen Dank und einen schönen Abend! «
Quelle: Bulletin 84-2 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 20. September 2024