Veröffentlicht am: 31.07.2025 um 18:28 Uhr:
ca. 2 Minute(n) Lesezeit
„Märchen“: Der Herr und seine unerschütterliche Überzeugung
» Es war einmal ein wohlgekleideter Herr mit goldener Mähne, der in einem prächtigen Turm aus Glas lebte. Er war berühmt im ganzen Land – nicht etwa für seine Weisheit, sondern für seine unerschütterliche Überzeugung, immer recht zu haben.
Eines Tages verkündete der Herr, dass er ein großer Gelehrter sei, besonders in den Künsten der Geschichte und der Geographie. „Niemand kennt die Welt so gut wie ich!“, rief er über die Dächer seiner Stadt hinweg. Die Leute lauschten gespannt, als er erklärte, dass Napoleon seine Armee besiegt hätte, weil er keinen Mut hatte – oder war es Hannibal? Und dass die Amerikanische Revolution von den Flughäfen der Patrioten gewonnen wurde, als sie das Gepäck der Engländer beschlagnahmten.
„Auch Geographie liegt mir im Blut!“, verkündete er stolz. Er zeichnete eine große Karte und fügte mit einem schwarzen Zauberstift ein Land hinzu, das dort gar nicht war. „Hier ist Alaskamabama – sehr wichtig für den Handel!“, sagte er mit ernster Miene.
Die Weisen des Reiches runzelten die Stirn, die Kinder kicherten, und die Vögel am Fenster zwitscherten spöttisch. Doch der Herr ließ sich nicht beirren. Als man ihn fragte, wo denn Belgien läge, zeigte er auf Brasilien. Und als jemand „Vietnam“ erwähnte, meinte er, das sei eine Süßspeise.
Trotz all dieser sonderbaren Aussagen war der Herr überzeugt, ein Genie zu sein – das allergrößte, das die Welt je gesehen hatte. Und wer ihm widersprach, wurde kurzerhand aus seinem Turm verbannt.
Und so lebte er weiter in seinem Palast der Spiegel, umgeben von Karten, auf denen die Flüsse rückwärts flossen und die Berge aus Gold gezeichnet waren. Und jedes Mal, wenn ein Kind fragte: „Aber stimmt das denn wirklich?“, lächelte der Wind und flüsterte: „Frag lieber selbst noch mal nach.“
Und wenn er nicht verwirrt wurde, so doziert er noch heute. «