Veröffentlicht am: 27.11.2023 um 09:56 Uhr:
Bundesregierung: Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier vor der Nationalversammlung der Republik Cabo Verde
» „Habt immer im Hinterkopf, dass Menschen dafür kämpfen, […] besser und in Frieden zu leben und die Zukunft ihrer Kinder zu sichern.“ Dieses Zitat stammt von Amílcar Cabral, dessen 50. Todestag und 100. Geburtstag Sie im Laufe dieses und des nächsten Jahres gedenken. Heute wurde mir die Ehre zuteil, mit dem Amílcar-Cabral-Orden ausgezeichnet zu werden, und seine Worte gehen mir deshalb besonders nah. Auch wenn sich die Welt weitergedreht hat, wenn die Herausforderungen heute andere sind als zu seiner Zeit: Cabrals Aufforderung hat ihre Dringlichkeit nicht verloren.
Ja, auch heute ist die Zukunft bedroht. Heute ist es der Klimawandel, der unsere Zukunft und die unserer Kinder gefährdet. Es liegt an uns allen, die Erderwärmung zu bekämpfen und ihre Folgen zu mildern. Und diese Menschheitsaufgabe werden wir nur gemeinsam bewältigen. Im Geiste von Amílcar Cabral möchte ich sagen: Lassen Sie uns alle, in Cabo Verde, in Deutschland, gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union, in Afrika und weltweit, die Zukunft unserer Kinder sichern!
Der Klimawandel hat enorme wirtschaftliche und soziale Folgen. Sie hier in Cabo Verde wissen, wovon ich spreche. Der Fischbestand vor Ihren Küsten ist zurückgegangen. Naturkatastrophen haben immer wieder ganze Dörfer zerstört. In den vergangenen Jahren sind Ernten wegen der lange währenden Dürre besonders mager ausgefallen. Der Klimawandel trifft Cabo Verde mit voller Härte. Und das, obwohl Ihr Land vergleichsweise wenig zum weltweiten CO2-Ausstoß beigetragen und eher wenig vom Weltwirtschaftswachstum der vergangenen Jahre profitiert hat.
Und deshalb sage ich: Die Industrieländer, und ja, auch mein Land, stehen deshalb in einer besonderen Verantwortung. Und Deutschland, das kann ich Ihnen versichern, nimmt diese Verantwortung ernst. Wir kämpfen für die Begrenzung des Klimawandels, in unserem eigenen Land und natürlich auch international. Wir lassen Sie und die Länder, die so stark vom Klimawandel betroffen sind, mit all den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen nicht allein. Die Bekämpfung des Klimawandels ist eine globale Aufgabe, und wir können sie nur gemeinsam schultern!
Cabo Verde steht „an der Frontlinie der Klimakrise“, wie es UN-Generalsekretär Guterres Anfang des Jahres bei einem Besuch hier formulierte. Über lange Zeit habe ich als Außenminister regelmäßig, jedes Jahr, die Vertreterinnen und Vertreter der kleinen Inselstaaten zum Gespräch geladen, jedes Jahr während der Generalversammlungswoche in New York. Und jedes einzelne dieser Gespräche, das ich mir in Erinnerung rufe, hat mir vor Augen geführt, wie verwundbar gerade Inseln doch sind – weil sie stark von klimatischen Extremen getroffen werden, weil sie über wenige Ressourcen verfügen und weil sie auf Importe angewiesen sind. Die Inselstaaten sind auf unterschiedliche Weise verletzlich, aber sie sind in ihrer Verwundbarkeit vereint.
Sie hier in Cabo Verde kämpfen daher nicht alleine an der Frontlinie der Klimakrise, sondern Sie suchen sich sehr erfolgreich Verbündete: Vor wenigen Wochen tagte in Praia eine Konferenz zur Vorbereitung des vierten Gipfels der Small Island Developing States. Ihr Land ist maßgeblich daran beteiligt, dass die Inselstaaten geeint auf der Weltbühne auftreten. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie genau so verbündet das Gehör der Welt finden, ein Gehör, das Sie brauchen und das Ihnen zusteht! Nicht erleiden, sondern anpacken: Das ist die Haltung, mit der wir die eben beschriebene Menschheitsaufgabe tatsächlich angehen müssen, und Ihr Beispiel hier in Cabo Verde kann uns allen weltweit Mut machen!
Wie eng unsere beiden Länder, Cabo Verde und Deutschland, beim Klimaschutz bereits wissenschaftlich zusammenarbeiten, davon werde ich mich morgen auf São Vicente überzeugen. Gemeinsam mit Präsident Neves werde ich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Cabo Verde und Deutschland treffen, die erforschen, wie der Klimawandel den Ozean und wie er die Atmosphäre verändert.
Die Forschungen dort zeigen deutlich: Der Klimawandel bedroht uns. Klimaschutz ist das Gebot der Stunde. Und das Gute daran ist: Wenn wir voranschreiten beim Klimaschutz, dann liegen darin auch gewaltige neue Perspektiven. Sie hier in Cabo Verde produzieren bereits etwa ein Fünftel Ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen und wollen das miteinander ambitioniert steigern. Für eine Inselgruppe wie die Ihre ist das doppelt bedeutend. Erstens ist das angewandter Klimaschutz, und zweitens reduzieren Sie damit auch Ihre Abhängigkeit von anderen.
Ich wünsche mir, dass die deutsche Wirtschaft das Potenzial hier bei Ihnen noch stärker nutzt und fördert, und dass die deutsche Wirtschaft stärker hier in Cabo Verde investiert. Lassen Sie es mich klar sagen: Sie hier in Cabo Verde können beim Kampf gegen den Klimawandel, beim Einsatz neuer Technologien, auf Know-how aus Deutschland zählen.
Mehr als 99 Prozent Ihres Hoheitsgebiets besteht aus Wasser. Insofern ist es nur folgerichtig, dass Sie das Meer immer mitdenken und strategisch eine „blue economy“ anstreben. „Wir sind vielleicht eher Lebewesen des Ozeans als des Landes“, das hat Cristina Duarte, Ihre Landsfrau aus Cabo Verde und UN-Sonderberaterin für Afrika, gesagt. Und schon die wunderbare Cesária Évora besang intensiv und unter die Haut gehend Ihre besondere Beziehung zum Meer. Sie hier auf Cabo Verde sind, so meine ich, „Meereserklärer“. Sie merken zuallererst, wie sich der Ozean in Folge des Klimawandels verändert.
Aber gleichzeitig sind Sie auch viel mehr als das, viel mehr als nur Meereserklärer. Für mich sind Sie auch eine Art Welterklärer. Denn Ihre Inseln haben nie isoliert existiert. Sie haben einen weiten Horizont, Sie verstehen, wie anderswo auf dieser Welt gedacht und gelebt wird. Sie wissen das, weil so viele Caboverdier im Ausland leben und arbeiten – das ist heute so und das war auch in der Vergangenheit so, die immer schon geprägt war von der Seefahrt, der Emigration und auch der Sehnsucht nach den Inseln. Baltazar Lopes, der berühmte Dichter von Ihren Inseln, lässt Chiquinho in seinem großen gleichnamigen Roman sagen: „Wenn Briefe aus Amerika kamen, wurde nach mir geschickt, um sie vorzulesen. […] So erfuhr ich im Laufe der Zeit vom kreolischen Heimweh der Söhne der Inseln.“ In diesen Briefen ging es um die Sehnsucht, um das Leben in der Diaspora, aber eben auch um die Rückkehr nach Cabo Verde mit viel neuem Wissen, vielen Eindrücken und mit viel Verständnis für andere Länder der Welt. Welterklärer können Sie aber nicht nur deshalb sein, weil so viele Caboverdier im Ausland leben. Sondern auch, weil zahlreiche Touristen, auch aus Deutschland, Ihr wunderbares Land jetzt nach der Corona-Pandemie wieder besuchen.
Ich bin überzeugt: Ihr Wissen, Ihre Erfahrungen, Ihre Vernetzung, all das kann uns helfen in Zeiten wie diesen, in Zeiten, in denen Unsicherheit herrscht und in denen man das Gefühl haben kann, dass sich die Länder der Welt eher voneinander entfernen, voneinander entfremden statt das zu tun, was notwendig ist: zusammenzustehen.
Wir brauchen Welterklärer wie Sie auf der Weltbühne. Cabo Verde ist ein Land, das in Partnerschaften denkt. Geografisch und kulturell ist Ihr Land beinahe mittendrin zwischen den Welten. Und wer mittendrin ist, der muss sich verbinden, der muss Partnerschaften suchen. Wer mittendrin ist, der braucht ein klares Wertesystem, an dem er sich in diesen Partnerschaften orientiert.
Ich bin Ihnen dankbar für die klare Verurteilung des russischen Angriffskrieges. Ihr Land ist ein starker Verfechter der UN-Charta, von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Ich wünsche mir, dass unsere beiden Länder weiter eng zusammenarbeiten mit all jenen, die unsere Prinzipien, Werte und Überzeugungen teilen.
Gerade in Zeiten, in denen es scheint, als ob die Welt aus den Angeln gehoben würde, müssen wir unsere Positionen erklären und für unsere Werte noch erfolgreicher werben. Wir müssen neue Partnerschaften knüpfen und bestehende Partnerschaften vertiefen. Cabo Verde ist in vielen Allianzen dieser Welt unterwegs, und ich danke Ihnen, dass Sie sich überall dort klug und engagiert für die Demokratie und für den Frieden einsetzen.
Und das sage ich in diesen unruhigen Tagen ganz besonders mit Blick auf Ecowas und die Militärputsche in Niger und Gabun. Mein Land, Deutschland, steht den demokratischen Partnern der Demokratien in Westafrika zur Seite und gern unterstützen wir Ecowas in ihren diplomatischen Bemühungen, damit aus nationalen Turbulenzen keine Destabilisierung der gesamten Region Westafrikas folgt.
In Deutschland haben wir gestern, am 3. Oktober, den Nationalfeiertag und die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten gefeiert. Und wir feiern an diesem Tag auch das Glück der Demokratie, denn seit 1990 leben alle Deutschen, die von Ost und West, in einer Demokratie. Cabo Verde hat seit 1991 ein Mehrparteiensystem und die Stabilität und die politische Kultur Ihres Landes, alles das ringt uns wirklich großen Respekt ab.
Unsere Demokratiegeschichte weist zeitliche Parallelen auf, darüber sprach der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der 2004 als letzter Vertreter Deutschlands hier eine Rede vor Ihnen, verehrte Abgeordnete von Cabo Verde, gehalten hat. Damals haben Nationalversammlung und der Deutsche Bundestag ein Protokoll zur Zusammenarbeit unterzeichnet. Ich würde mir wünschen, dass mein Besuch heute und morgen auch einen Anschub gibt, diese parlamentarische Zusammenarbeit weiter zu verstärken. Ihre Nationalversammlung und den Deutschen Bundestag, beide eint doch der Wille, „auf besondere Weise einen Beitrag zur Stärkung der Demokratie“ zu leisten, wie es in diesem damals unterzeichneten Protokoll der Zusammenarbeit heißt. Und diesen Beitrag, den brauchen wir notwendiger denn je!
Ich sage das auch mit Blick darauf, dass wir weltweit erleben, wie Demokratien nicht nur von außen, sondern auch von innen angefeindet werden, wie Populisten die Unzufriedenheit mit Parlamenten und Regierungen anstacheln. Ich sehe mit Besorgnis, wie Hass und Hetze in den Debatten mancherorts um sich greifen, wie berechtigte Sorgen benutzt werden, um Zweifel an der Demokratie zu schüren. Die Geschichte gerade meines Landes lehrt uns: Populismus hilft uns nie, die Probleme der Zukunft, so schwierig sie auch sein mögen, wirklich zu lösen.
Verehrte Abgeordnete, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Populismus keine Chance hat. Lassen Sie uns gemeinsam die Demokratie schützen und verteidigen. Lassen Sie uns noch mehr Menschen dafür gewinnen, sich vor allen Dingen für die Demokratie zu engagieren!
Unsere beiden Länder einen gemeinsame Werte und gemeinsame Ziele, und wir haben dabei einen sehr ähnlichen Blick auf die Welt, beim Klimaschutz, bei der Bedeutung internationaler Partnerschaften, und auch bei der Verteidigung der Demokratie. Den globalen Herausforderungen treten wir geeint entgegen.
Ich danke Ihnen ganz persönlich für Ihre Gastfreundschaft in diesen Tagen hier, für die weltweit gerühmte morabeza, und ebenfalls herzlichen Dank für den Empfang auf Ihren wunderschönen und vielfältigen Inseln. Ich danke Ihnen allen, dass Sie mit großem Engagement, mit Offenheit und Überzeugung die Fahne der internationalen Kooperation und der Demokratie hochhalten. Lassen Sie uns gemeinsam anpacken und gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft bewältigen! Oder wie Sie es auf Kreol sagen: Djunta-mon! «
Quelle: Bulletin 108-1 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 6. Oktober 2023