Veröffentlicht am: 16.06.2024 um 08:48 Uhr:

Bundesregierung: Rede der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Steffi Lemke, in der Aktuellen Stunde zum Kernkraft-Aus

In der Aktuellen Stunde zum Kernkraft-Aus vor dem Deutschen Bundestag hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Steffi Lemke, am 15. Mai 2024 in Berlin nachfolgende Rede gehalten...

» Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin dankbar dafür, dass wir heute erneut auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion Gelegenheit haben, über die nukleare Sicherheit in unserem Land zu diskutieren. Ich finde, das ist ein Thema, dem man viel Aufmerksamkeit auch hier im Parlament widmen sollte. Es geht darum, dass wir Transparenz und Klarheit darüber herstellen, worüber wir 2022 und in den Jahren davor diskutiert und entschieden haben. Es geht aus meiner Sicht um relativ einfache Fragen.

Die erste Frage ist: Wollen wir zurück in die Nutzung der Atomkraft? Das ist die erste und das ist die Kernfrage. Deshalb führen wir diese ganze Diskussion auf Antrag von CDU und CSU hier, dafür führen wir diese ganze Diskussion in der Öffentlichkeit.

Ich will es wiederholen: In der Regierungszeit von CDU/CSU wurden nach dem von Ihnen beschlossenen Atomausstieg im Jahr 2011 dann 11 der 17 deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet. Das ist Ihre Regierungsbilanz. Unter der jetzigen Regierung wurden dann die weiteren Atomkraftwerke abgeschaltet.

Und jetzt stellt sich die Frage – Sie haben das in Ihrem Grundsatzprogramm beantwortet –: Wollen wir zurück? Wollen wir den Wiedereinstieg in die Nutzung der Atomkraft?

Ich kann sagen: Die Bundesregierung will das nicht; das hat sie klipp und klar festgestellt. Sie hat dafür gute Gründe: Atomkraft ist ineffizient. Die Frage, wo neue Atomkraftwerke gebaut werden sollten, haben Sie bis heute nicht beantwortet. Wer in den jeweiligen Wahlkreisen für diese Atomkraftwerke werben sollte, haben Sie bis heute nicht beantwortet. Wer diese Atomkraftwerke finanzieren sollte, haben Sie bis heute nicht beantwortet. Wann sie in Betrieb gehen sollten, um einen Beitrag zur Stromversorgung in Deutschland zu leisten, haben Sie bis heute nicht beantwortet.

Was aber klar ist: Wenn Sie dies im Deutschen Bundestag beantragen würden, dann würde es keinen Konsens unter den demokratischen Parteien für einen solchen Antrag geben. Den hat es gegeben, als Sie hier im Deutschen Bundestag die Beendigung der Atomkraftnutzung in Deutschland beantragt hatten. Dazu gab es einen Konsens unter allen demokratischen Parteien. Wenn Sie den Wiedereinstieg beantragen würden, würde es den nicht geben. – Gemach, gemach! Ich komme noch zu dem, was Sie als „Thema“ bezeichnen.

Zu all diesen Fragen brauchen wir und erwarten wir Transparenz. Ich glaube, dass das die deutsche Bevölkerung mit Fug und Recht erwarten kann, wenn Sie zum wiederholten Male das Thema der nuklearen Sicherheit hier im Deutschen Bundestag thematisieren.

Die zweite Frage ist: Hätten wir die letzten drei Atommeiler einfach ein paar Jahre länger weiterlaufen lassen können? Auf diese Frage hat die Bundesregierung mit einem klaren Nein geantwortet. Mehrere Jahre: Wir haben das geprüft mit der gebotenen Sorgfalt, aber auch in der notwendigen Schnelle. Wir haben dies gemeinsam mit den Betreibern dieser drei Atomkraftwerke diskutiert. Die Betreiber dieser drei Atomkraftwerke haben zwei klare Konditionen für ein längerfristiges, mehrjähriges Weiterlaufenlassen dieser drei Atomkraftwerke formuliert: Das sind Abstriche bei der Sicherheit, und der Staat solle die Haftung für diese drei Atomkraftwerke übernehmen. Das ist in dem häufig diskutierten, aber von Ihnen nie im Wortlaut wiedergegebenen Vermerk vom 7. März im Protokoll gemeinsam mit den Betreibern festgehalten worden.

Sie beziehen sich immer wieder auf das Protokoll, aber nie auf den Wortlaut des Protokolls. Ich glaube, dass das Gründe hat; denn ich bin fest davon überzeugt, dass Sie nach dem Gespräch mit den Betreibern und der Kenntnisnahme der von den Betreibern formulierten Konditionen, Herr Spahn, genau zu dem gleichen Schluss gekommen wären, zu dem die amtierende Bundesregierung gekommen ist. Sie hätten genau die gleichen Schlussfolgerungen gezogen; denn es ist für die amtierende Bundesregierung inakzeptabel, dass der Staat die Haftung in sämtlichen Fragen des Betriebs der AKWs übernimmt. Lesen Sie den Vermerk mal nach, auf den Sie sich ständig beziehen. Der steht im Internet, und zwar seit dem 7./8. März 2022. Er ist also seit über zwei Jahren im Internet veröffentlicht. Niemand, der seriös in dieser Sache diskutiert, kann behaupten, dass er ihn nicht kennen konnte.

Für den Betrieb der AKWs muss eine periodische Sicherheitsüberprüfung vorgenommen werden, und diese muss alle zehn Jahre erneuert werden. Das ist europarechtlich für alle Atomkraftwerke in Deutschland so festgeschrieben. Für die letzten drei damals noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke hatte diese sogenannte periodische Sicherheitsüberprüfung bereits 13 Jahre vorher das letzte Mal stattgefunden. Es war genehmigt worden, sie weiterzubetreiben, weil klar war, dass sie Ende 2022 abgeschaltet werden. Das war der einzige Grund, warum man auf die Prüfung nach diesem Zehnjahreszeitraum verzichtet hatte.

Das war verantwortbar. Die deutschen Atomkraftwerke wurden zu diesem Zeitpunkt sicher betrieben; deshalb konnte man all dies definitiv verantworten – das will ich klipp und klar sagen –, eben weil der Ausstieg Ende 2022 feststand. Das ist internationaler Standard. Die PSÜ ist europarechtlich vorgeschrieben.

Wir haben dann, als wir die AtG-Novelle, also die Verlängerung um dreieinhalb Monate, bei der EU-Kommission Ende 2022 notifiziert haben – dazu waren wir verpflichtet –, von der Kommission klipp und klar gesagt bekommen: Dreieinhalb Monate sind in Ordnung, ohne dass die PSÜ nachgeholt wird; bei längerem Betrieb muss die periodische Sicherheitsüberprüfung vorgenommen werden. Das ist von der EU-Kommission schriftlich während der Notifizierung formuliert worden. Das heißt, es gibt die ganz klare Aussage: Bei längerem Weiterbetrieb wäre Staatshaftung erforderlich. Dieses Risiko konnten wir nicht eingehen. Unsere Entscheidung war im Interesse unseres Landes und unserer Bevölkerung richtig. Es ist im Übrigen nicht ohne Grund so, dass keine einzige Versicherung weltweit die Risiken der Atomkraft versichert; das hat ja Gründe.

Ich will das noch mal sagen: Es gibt ein klares, mit den Betreibern abgestimmtes Protokoll, und dieses mit diesen Aussagen ist Ihnen bekannt. Wenn Sie hier mit uns über Transparenz diskutieren, dann beziehen Sie sich bei den weiteren Diskussionen bitte ganz konkret auf diese Aussagen.

Die Frage, die Sie also im politischen Raum irgendwie aufzuwerfen versuchen, ist: Gab es irgendeinen Zeitpunkt, an dem das Umweltministerium zugunsten politisch motivierter Interessen seine konsequente Linie der nuklearen Sicherheit verlassen hat? Gab es einen solchen Zeitraum? Diese Frage muss man mit Ja beantworten, weil es unter Verantwortung der CDU einen solchen Zeitraum 2010 gegeben hat. Bei der damaligen politisch gewollten Laufzeitverlängerung wurden Sicherheitsbedenken aus dem Haus bewusst ignoriert. Das ist alles gut in den Akten dokumentiert. Wir können sie Ihnen gerne zur Verfügung stellen, wenn Sie daran Interesse haben. Vielleicht kann Ihnen auch der damals amtierende CDU-Umweltminister dazu vertieft Auskunft geben. Aber wir können darüber gerne heute und darüber hinaus öffentlich weiterdiskutieren.

Das Bundesumweltministerium ist seit seiner Gründung für die nukleare Sicherheit in Deutschland zuständig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses sind die besten Fachleute. Sie schützen mit ihrer Expertise gemeinsam mit der Atomaufsicht der Länder und mit den Beschäftigten der Atomkraftwerke die Gesundheit der Menschen in unserem Land – in den vergangenen Jahrzehnten und heute. Mehr noch: Gemeinsam mit den nachgeordneten Behörden evaluieren wir die nukleare Sicherheit, zum Beispiel rund um die Ruine des AKW Tschernobyl und das AKW Saporischschja, das im Rahmen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mehrfach unter Beschuss geraten ist.

Es grenzt an Ehrabschneidung, dass Sie diese Expertise in Zweifel ziehen und dem BMUV politisch gefärbte Entscheidungen unterstellen. Ich weise solche Versuche in aller Entschiedenheit zurück. Das können Sie den Mitarbeitern meines Hauses nicht unterstellen, im Übrigen auch nicht für die Zeit vor meiner Amtsübernahme, sondern für diese Expertise stand das BMUV auch unter meinen Amtsvorgängerinnen und Amtsvorgängern – eine Ausnahme habe ich benannt.

Wenn Sie den befriedeten Konflikt, einen gesellschaftlichen Konflikt um die Atomkraft in unserem Land neu anheizen wollen, dann haben Sie in den Wahlkämpfen alle Gelegenheit dazu. Kämpfen Sie für Ihre Überzeugungen, die Sie beim Thema Atomkraft mehrfach geändert haben! Kämpfen Sie für Ihre Bedürfnisse! Aber bitte tun Sie das mit offenem Visier, und sagen Sie den Menschen, wer für Ihre Pläne bezahlen soll und wo die AKWs hinkommen sollen.

Herzlichen Dank. «


Quelle: Bulletin 44-4 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 16. Mai 2024

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