Veröffentlicht am: 14.11.2024 um 18:03 Uhr:
Bundesregierung: Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Robert Habeck, zum Vierten Bürokratieentlastungsgesetz
» Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Brandner, gut, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist, sonst hätten Sie das Grundgesetz auch noch abgeschafft. Bevor ich zu dem Thema „Entbürokratisierung und Bürokratieentlastung“ komme, muss ich sagen: Schon vor den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hat die deutsche Wirtschaft in allen Verbänden gewarnt, die AfD zu wählen. Und jetzt, mit den starken Wahlergebnissen in diesen Bundesländern, herrscht Panik in den Unternehmen, dass keine Arbeits- und Fachkräfte mehr kommen. Es ist sicherlich nicht richtig, dass die Politik der AfD dem Standort Deutschland irgendwie hilft.
Entbürokratisierung, das klingt schon nach Bürokratie. Dennoch ist es ein wichtiges Thema, ein zentral wichtiges Thema. Wir haben es gestreift, als wir in der letzten Sitzungswoche über die wirtschaftlichen Perspektiven und das dafür Nötige in Deutschland geredet haben.
Die Reporte vom Bundesverband der Deutschen Industrie und von Draghi haben neben anderen Themen – Fachkräfte, Kapitalmarkttiefe – darauf Wert gelegt, zu sagen, dass die Lasten durch Berichtspflichten und Bürokratie ein echtes Investitionshemmnis in Europa sind. Deswegen ist bei aller Sperrigkeit des Themas nicht zu übersehen, welche Bedeutung dieses Thema für den wirtschaftlichen Aufschwung, für die wirtschaftliche Erholung, für die Investitionsattraktivität des Standortes hat.
Das Gesetz, das wir heute beraten, das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz, ist nur eines in der Reihe der Arbeit der Bundesregierung seit Amtsantritt. Wir haben unter dem Druck der Energiemangellage angefangen mit der Entbürokratisierung und der Beschleunigung sehr vieler Energieinfrastrukturen. Es ging los mit den LNG-Terminals. Wir haben die Leitungsbauerfahrung auf die Wasserstoffnetze übertragen. Wir haben den Ausbau der erneuerbaren Energien, des Stromnetzes um den Faktor fünf erhöht; alles geht in fünffacher oder noch höherer Geschwindigkeit. Es geht also, wenn man will. Die Schutzgüter sind nie abgeschafft worden, aber die Verfahren sind einfacher, schlanker, pauschaler gemacht worden – mit großem Erfolg in jedem Bereich.
Wir haben das dann auf andere Infrastrukturen übertragen. Ersatzbauten, Brücken, Ausbau von Glasfaser, Ausbau von Mobilfunknetzen – alles ist mit anderen Gesetzen bereits auf den Weg gebracht worden. Wir haben in dem letzten Paket noch einmal vereinbart, dass wir für die Arbeitsaufnahme von Geflüchteten eine Genehmigungsfiktion bei den Ausländerbehörden einführen, um auch da eine Beschleunigung zu ermöglichen.
Sie sehen also: Dieses Gesetz ist nur eines in einer Reihe von Gesetzen, die wir in der Vergangenheit verabschiedet haben. Sie sehen, dass wir konsequent daran arbeiten, dass die Bürokratie geringer wird.
Reicht das? Nein, das tut es nicht. Die peinlichen, fast zynischen und kaum zu ertragenden Anekdoten aus Handwerksbetrieben, aus dem Mittelstand, was sie alles an Sachen machen müssen, sind manchmal nur noch mit Humor zu ertragen, und manchmal bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Wir haben heute schon ein paar Beispiele gehört. Was ist der Grund dafür? Wir sollen uns nicht gegenseitig die Schuld zuschieben; denn ich glaube, dass wir so nicht weiterkommen. In der Tat, natürlich hat die Ampelregierung Bürokratie aufgebaut, aber all das, was in den letzten Jahrzehnten aufgebaut wurde, ist nicht vom Himmel gefallen; alle haben ihren Anteil daran. Und wenn wir ehrlich sind, sollten wir einmal über die prinzipiellen Ursachen reden. Drei Ursachen sind festzustellen:
Erstens. Die Europäische Union hat häufig keine eigene Regelkompetenz. Was macht sie also? Berichtspflichten, Taxonomie, Nachhaltigkeitsberichterstattung, weil sie selber in der Sache nicht materiell vorgehen kann.
Zweitens. Mir wurde von Vorgängern aus der Zeit der Großen Koalition, also von Ministern aus der Union, berichtet, dass bei dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz damals angeboten wurde, keine Berichtspflichten vorzusehen, dafür aber Rechtssicherheit zu schaffen – keine Kinderarbeit, keine Sklavenarbeit und so weiter –, indem es die Möglichkeit zur Klage gibt. Und es war die Wirtschaft, die gesagt hat: Nein, das wollen wir auf gar keinen Fall.
Das führt – drittens – zu dem Schluss, dass, wenn wir uns von Bürokratie im Detail, in der Pingeligkeit der Arbeit verabschieden wollen – das hat sowohl Herr Krings wie auch Herr Limbacher eben gesagt –, im Umkehrschluss ein Vertrauensraum geschaffen werden muss, in dem Entscheidungen schneller fallen und die Unternehmen mehr Eigenverantwortung haben, was heißt, dass alle diese Verantwortung auch tragen müssen. Das beginnt bei dem Minister, der sich vor seine Mitarbeiter, Referenten und die Behörden stellen muss, die dann schnelle Entscheidungen treffen. Und es endet nicht bei den Unternehmen, sondern es endet bei der Debattenkultur in Deutschland. Denn wenn man nicht alles hundert- und hundertzehnprozentig rechtssicher haben will, sondern sagt: „Es muss auch mit 98 oder 95 Prozent gehen“, dann ist die logische Konsequenz, dass zwei oder fünf Prozent auch mal schiefgehen können. Und wenn das bedeutet, dass alle sofort zurücktreten müssen und die Unternehmen sofort verdammt und in Bausch und Bogen verurteilt werden, dann werden wir an dieser Stelle nicht weiterkommen.
Insofern geht es bei dem sperrigen Entbürokratisierungsgesetz auch um die Frage, welches Land wir sein wollen: ein Land von Missgunst und Misstrauen oder ein Land von Zutrauen und unternehmerischer Eigenverantwortung? Ich plädiere für Letzteres.
Vielen Dank. «
Quelle: Bulletin 87-1 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 27. September 2024