Veröffentlicht am: 10.03.2025 um 10:10 Uhr:
Bundesregierung: „Wir lassen die Ukraine nicht im Stich”
» Bundeskanzler Olaf Scholz hat an der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates in Brüssel teilgenommen. Nach Ende der Beratungen betonte der Kanzler in einer Pressekonferenz, dass Europa entschlossen und auch geschlossen in seiner Reaktion auf die Veränderung im internationalen Bereich handeln wird.
Das Wichtigste aus dem Statement in Kürze:
Ukraine:
- Für Bundeskanzler Olaf Scholz sei klar: „Wir lassen die Ukraine nicht im Stich." Die EU werde ihre Unterstützung für die Ukraine weiter verstärken. Außerdem sollen die Vereinigten Staaten auch in Zukunft wichtiger Partner bleiben.
- Am wichtigsten sei, dass ein Prozess beginne, der in einem dauerhaften und sicheren Frieden münde. Die Ukraine solle eine souveräne und demokratische Nation bleiben. „Sie hat sich entschieden Mitglied der Europäischen Union werden zu wollen und auf diesem Weg werden wir sie begleiten”, so Scholz.
Verteidigungsfähigkeit Europas:
- Kanzler Scholz machte klar, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeit vor allem über die weitere Stärkung der eigenen Rüstungsindustrie erreichen müsse. Mit der Herstellung militärischer Güter in Europa sowie Partnerländern solle sichergestellt werden, „dass wir da nicht in falsche Abhängigkeiten geraten”, sagte er.
- Neben dem Ausbau der Industrie müssten auch Partnerprojekte innerhalb der EU möglich sein. Europäische Wettbewerbsregeln drüften dies nicht verhindern.
Finanzierung:
- Bundeskanzler Scholz lobte den Vorschlag der EU-Kommission, in den kommenden Jahren von der sogenannten haushälterischen Ausweichklausel bei der Finanzierung von Rüstungsgütern Gebrauch zu machen.
- Bei der Anpassung der Stabilitätskriterien warb Scholz für eine längerfristige Ausnahme bei den Rüstungsausgaben als Vorbild für alle EU-Mitgliedsstaaten.
Sehen Sie hier die Pressekonferenz:
Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:
Bundeskanzler Olaf Scholz: Einen schönen guten Abend. Die Zeiten sind sehr ernst. Ich glaube, das braucht keine Erläuterung und deshalb ist es auch wichtig, dass heute dieser Europäische Rat genau zum richtigen Zeitpunkt stattfindet. Es hat eine ganze Reihe von Treffen auf internationaler Ebene gegeben, bei denen wir diskutiert haben, was jetzt zu passieren hat. Das gilt auch für den heutigen Sondergipfel, es ist immerhin das vierte Treffen innerhalb kurzer Zeit. In Brüssel, Paris, London und heute wieder in Brüssel haben wir zusammengesessen, um über die schwierige Situation zu sprechen, in der sich die Welt, aber ganz besonders Europa, befindet. Es ist gut, dass wir diese enge Koordinierung auf europäischer Ebene haben und dass wir auch mit Partnern außerhalb der Europäischen Union sprechen, wie Großbritannien, Norwegen und auch der Türkei. Es ist auch wichtig, dass wir eine klare gemeinsame Botschaft haben. Europa ist entschlossen und auch geschlossen in seiner Reaktion auf die Veränderung im internationalen Bereich.
Das heutige Treffen hatte zwei Ziele:
Erstens werden wir sicherstellen, dass die Ukraine weiterhin die finanzielle und militärische Unterstützung erhält, die sie braucht. Das ist ganz zentral und ich habe aus der Diskussion verstanden, dass sich alle bestmöglich bemühen werden, das auch zu realisieren.
Zweitens geht es darum, dass wir als Europäer unsere eigene Sicherheit stärken. Das ist ohnehin notwendig und bedeutet aber auch, dass wir darüber diskutieren müssen, wie wir das zustande kriegen können. Alle Mitgliedstaaten müssen mehr für Verteidigung tun. Das ist eine der Aufgaben, die uns in den nächsten Jahren und bestimmt auch in den nächsten zwei Jahrzehnten ganz besonders herausfordern wird.
Wir hatten zunächst ein Treffen mit Präsident Selenskyj. Wir haben intensiv mit ihm gesprochen und natürlich noch einmal über die besondere Situation. Er hat uns aus seinen Erfahrungen berichtet und über die Gespräche, die er geführt hat. Aber ich glaube, er hat auch von allen das Signal bekommen, wir lassen die Ukraine nicht im Stich. Wir haben auch miteinander vereinbart, dass wir auch an unseren eigenen Hilfen festhalten und dass wir Europäer die Ukraine auch noch weiter und stärker unterstützen müssen. Gleichzeitig besteht aber für alle auch große Klarheit darüber: Wir wollen alles dafür tun, dass auch die USA weiterhin ein Partner bleibt für die Ukraine; zusammen mit uns und anderen internationalen Freunden und weiterhin die Ukraine unterstützt.
Was sind die Ziele, die wir jetzt erreichen müssen? Zuallererst geht es darum, dass es um einen Friedensprozess geht, der auf eine dauerhafte Vereinbarung ausgerichtet ist und sicherstellt, dass der Frieden, der da zustande kommt, auch hält.
Zweitens geht es darum, dass die Souveränität der Ukraine mit verteidigt wird. Auch das ist ganz klar. Die Ukraine hat sich konstituiert als demokratische, souveräne Nation. Sie hat sich entschieden, Mitglied der Europäischen Union werden zu wollen und auf diesem Weg werden wir sie begleiten. Das darf nicht in Frage gestellt werden. Ich will das gerne auch noch mit der klaren Aussage ergänzen: Der Präsident der Ukraine ist Präsident Selenskyj. Er ist demokratisch gewählt und vom ukrainischen Volk mit dieser Aufgabe beauftragt.
Drittens geht es darum, dass die Ukraine jetzt in der konkreten militärischen Lage, in der sie sich befindet, angesichts des russischen Angriffs, über starke Streitkräfte verfügt, aber dass das auch nach einem wirklichen Friedensschluss, nach irgendeiner Vereinbarung so sein muss, dass die Ukraine über starke eigene Streitkräfte verfügt. Das ist eine besondere Herausforderung, denn sie wird dazu weiter finanzielle Unterstützung brauchen und sie wird dazu die notwendigen Rüstungsgüter von westlichen Partnern brauchen. Und das ist mehr, als was die Ukraine aus ihren eigenen wirtschaftlichen Ressourcen finanzieren kann. Insofern bleibt auch in einer Friedenssituation die große Aufgabe bestehen, dass es die europäischen Länder, aber auch die internationalen Partner der Ukraine dem Land ermöglichen, eine starke Armee zu haben, die oberhalb ihrer eigenen wirtschaftlichen Kraft ist. Aber das ist etwas, wo ich den Eindruck habe, jetzt alle auch verstanden haben, dass das die wichtigste und zentrale Sicherheitsgarantie für die Ukraine in der Zukunft sein wird.
Dann haben wir uns natürlich auch über die Verteidigungsindustrie in Europa unterhalten. Da gibt es viele Dinge die zu tun sind, damit das gut funktioniert für die Zukunft. Wir brauchen eine Verteidigungsindustrie, die unabhängig ist, was die eigenen Lieferketten betrifft. Es gibt viele, viele Dinge und manchmal sehr kleine Produkte, die außerhalb Europas produziert werden, wo es immer besser wäre, sie würden in Europa hergestellt oder auch bei westlichen Partnern, um sicherzustellen, dass wir da nicht in falsche Abhängigkeiten geraten.
Zweitens geht es darum, dass wir sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, in die laufenden Ausrüstungsprojekte einzelner Mitgliedstaaten einzusteigen. Das hat viel Unterstützung gefunden, was ich heute hier vorgetragen habe, dass das eigentlich ein absurdes Problem ist, dass, wenn zum Beispiel Deutschland oder Spanien bereits einen Kaufvertrag mit einem Verteidigungsunternehmen abgeschlossen haben, andere immer wieder neue Verfahren starten müssen und noch mal drei Panzer und so und so viel Stück Munition oder sonst etwas extra zu bestellen Warum kann man nicht in die einmal durchverhandelten Verträge einsteigen, was auch gleich in unbürokratischer Weise zusätzliche Skaleneffekte auslösen würden. Und das gilt natürlich auch noch mehr für die Kooperation zwischen den Rüstungsunternehmen; ein Thema, das mir sehr wichtig ist. Ich glaube, dass die Zeit, in der Beamte und Politiker Waffen zusammenstellen und sagen: „Der produziert das und der produziert das“, vorbei ist. Wir brauchen einen großen Fusionsprozess der europäischen Rüstungsindustrie und wir brauchen auch die Möglichkeit, dass diese Unternehmen aktiv – und zwar selber und ohne Verhinderung durch europäische Wettbewerbsregelungen – zusammenzuarbeiten. Auch das hat heute viel Unterstützung gefunden und deshalb sind das die Themen.
Wir brauchen die Möglichkeit, größere Skaleneffekte durch Einstieg in Rüstungsprojekte, die andere schon geschlossen haben, zu erzielen. Wir brauchen die Kooperation zwischen den Unternehmen.
Wir brauchen in der Tat eine Konsolidierung der europäischen Verteidigungsindustrie
Was die Finanzierung betrifft, hat die Kommission gute Vorschläge gemacht, die auch sehr breite Unterstützung gefunden haben. Das gilt zunächst mal für das Kreditfinanzierungsinstrument. Das ist nicht besonders aufregend, weil wir das alles schon kennen und das auch von der Kommission aus ihren budgetären Rahmenbedingungen selbst mitfinanziert werden kann. Es geht um Kredite an Mitgliedsstaaten, die davon profitieren, weil sie geringere Zinsen zahlen. Für uns ist sehr wichtig, dass die Projekte, die damit unterstützt werden können, auch denen offenstehen, die solche Kredite nicht in Anspruch nehmen, wie z.B. Deutschland, aber auch Ländern, die nicht zur Europäischen Union gehören, jedoch eng mit uns zusammenarbeiten, wie z.B. Großbritannien, Norwegen, die Schweiz oder die Türkei. Und das ist auch etwas, worüber wir uns miteinander verständigt haben.
Der zweite Punkt ist, dass es den Wunsch der Kommission gibt, dass sie allen in den nächsten Jahren eröffnet, von der nationalen Ausweichklausel Gebrauch zu machen, um mehr für Rüstung und Verteidigung ausgeben zu können. Das ist gut und gleichzeitig war es mir jedenfalls wichtig zu sagen, dass wir auch eine langfristige Lösung brauchen, denn wir können uns ja nicht in zwei oder vier Jahresrhythmus verständigen. In den Dingen, die wir jetzt auf Weg bringen müssen, erstrecken sich ja doch über viel mehr Zeit, die dazu notwendig ist und deshalb brauchen wir eine langfristige Perspektive. Darüber wird zu diskutieren sein. Ich glaube aber, dass die Entscheidungen, die jetzt in Deutschland vorbereitet werden, auch ein Weg sein kann, der für Europa insgesamt gilt. Dass man zum Beispiel im Hinblick auf Stabilitätskriterien ein bestimmtes Maß der Rüstungsausgaben für die nächsten Jahre oder das nächste Jahrzehnt ausnimmt, damit wir jetzt die Veränderungen vornehmen können. Und ich glaube, dass das auch am Ende überall in Europa Unterstützung finden wird.
Und natürlich ist, wie die Kommission richtig gesagt hat, wichtig, dass wir bei dieser Gelegenheit alles dafür tun, dass wir die Kapitalmarktunion voranbringen, denn die ist Voraussetzung dafür, dass breit investiert werden kann. Dabei spielt auch die Europäische Investitionsbank eine Rolle. Sie hat sich selbst schon vorgenommen, dass sie etwas breiter im Bereich der Verteidigungsfinanzierung aktiv sein will, insbesondere wenn es um dual use Güter geht, aber die Diskussion ist aus meiner Sicht noch lange nicht abgeschlossen. Denn es gibt viele Dinge, die eine solche Investitionsbank unterstützen kann, die auch ganz wichtig sind. Da geht es insbesondere um die Baufinanzierung, die Garantien während der Bauzeit von langfristigen und zentralen Projekten. Darüber haben wir die Diskussion auch begonnen. Das ist aus meiner Sicht alles von größter Bedeutung und deshalb ein großer Fortschritt. Also, für mich sind das alles wichtige Diskussionen, die wir heute geführt haben. Es war sehr wichtig, dass wir keine allzu langen Debatten über die Texte hatten, das war gut vorbereitet von all denen, die in den letzten Tagen und Wochen mitdiskutiert haben, sodass wir uns Zeit nehmen konnten, um vertiefend dann über diese Fragen zu diskutieren, die für die Zukunft Europas von so großer Bedeutung sind. Also, ich wie ich finde, ein sehr ernsthafter Gipfel in sehr ernsthafter Zeit mit richtigen Erkenntnissen und richtigen Debatten. Man kann darauf setzen, dass Europa seine Herausforderung bestehen wird.
Fragerunde im Anschluss:
Frage: Ja vielen Dank. Herr Bundeskanzler, der französische Präsident hat ja gestern Abend sein Angebot erneuert, die französischen Atomwaffen für einen europäischen Nuklearschirm zur Verfügung zu stellen. Ihr potenzieller Nachfolger, Friedrich Merz, hat sich offen für Gespräche darüber gezeigt. Haben Sie vor diesem Gipfel mit ihm darüber gesprochen und sich abgestimmt? Und haben Sie da eine ähnliche Position? Also, sind Sie auch gesprächsbereit? Und hat Herr Macron dieses Thema heute beim Gipfel angesprochen?
Bundeskanzler Scholz: Niemand plant, von der heutigen Situation wegzugehen, dass wir eine Vereinbarung unter der NATO haben. Und das ist auch die gemeinsame Position aller relevanten Parteien in Deutschland. Ich glaube, das ist auch etwas, was realistisch ist, wenn man sich einmal die Größenordnung der Handlungsmöglichkeiten anschaut.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich hätte ganz gerne noch einmal nach der Finanzierung gefragt. Sie haben ja drauf hingewiesen, dass Sie dauerhafte Ausnahmen möchten. Das ist ja genau das, was in Deutschland beschlossen wird. Haben Sie Sorge, dass das, was in Deutschland beschlossen wird, dann nicht mehr übereinstimmt mit den europäischen Stabilitätsregeln, dass man da so ein bisschen in Verdrückung kommt?
Und, da es um die Militärhilfe Ukraine geht, was ist eigentlich aus den drei Milliarden zusätzlicher Militärhilfe geworden? Da hat man jetzt nichts mehr gehört. Haben Sie sich da mit Herrn Merz darauf geeinigt und haben da jetzt vor, dass das über überplanmäßige Ausgabe oder Überschreitungsbeschluss bereitgestellt wird? Danke.
Bundeskanzler Scholz: Zunächst mal ist es doch sehr klar, dass wir, wenn wir jetzt über Finanzierung von Verteidigung diskutieren, wir auch immer darüber reden, wie wir das europaweit gemeinsam tun können. Und deshalb, glaube ich, ist das, was sich in Deutschland als Konsens jetzt abzeichnet – wir brauchen dafür ja eine verfassungsändernde Mehrheit, nämlich, dass ein bestimmter Teil der Verteidigungsgaben bei Stabilitätskriterien Deutschlands nicht berücksichtigt wird - dann auch europaweit so gehandhabt werden kann. Ich halte das für einen guten Weg. Die Diskussion dazu ist jetzt eröffnet. Das wird sich sicherlich noch eine Zeit hinziehen, aber das ist aus meiner Sicht schon ein richtiger, wichtiger Weg.
Ansonsten habe ich zu der zweiten Frage ja bereits in verschiedene Richtungen hin signalisiert: Wenn der Bundestag und der Gesetzgeber insgesamt jetzt beschließt, dass er die Wege öffnet für eine Verfassungsänderung, die die Schuldenbremse so modifiziert, dass Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent der Wirtschaftsleistung hinausgehen, nicht mit angerechnet werden auf die Schuldenregel des Grundgesetzes und wir einen großen Investitionsfond schaffen, damit auch der Spielraum geschaffen ist, dass man davon ausgehen kann, dass man den Haushalt 2025 zu kriegt und damit dann auch solche zusätzlichen Mittel für die Ukraine finanzieren kann. Deshalb hoffe ich, dass das in den nächsten zwei Wochen alles passiert und damit die Basis dafür geschaffen wird.
Frage: Ja, vielen Dank. Herr Bundeskanzler, es gibt in Deutschland viele Menschen, die setzen nach wie vor Hoffnung in einen Friedensplan von Donald Trump. Und die haben Hoffnung, dass es Donald Trump gelingen könnte, diesen Krieg rasch zu beenden. Hegen Sie noch Resthoffnung, dass das geschehen kann? Oder sehen Sie diese Hoffnung als komplett illusorisch an?
Bundeskanzler Scholz: Zunächst mal lassen Sie mich sagen: Es ist unverändert die Aufgabe gegenwärtig alles dafür zu tun, dass dieser Krieg nicht eskaliert. Das bleibt eine zentrale Aufgabe der deutschen, der europäischen, aber auch der internationalen Politik. Und auch alle Entscheidungen, die Deutschland in diesem Zusammenhang trifft, müssen darauf gerichtet sein, dass wir ein starker, zentraler, im Augenblick zweitstärkster internationaler Unterstützer der Ukraine als Land sind - aber dass wir alles dafür tun, dass der Krieg nicht eskaliert und sich nicht weiter ausweitet. Wenn wir jetzt also darüber reden, dass wir mehr Geld für Verteidigung ausgeben, wenn wir darüber reden, wie wir dauerhaft eine starke ukrainische Armee auch in Friedenszeiten ermöglichen können, dann geht es eben um Friedenssicherung und darum, wie man genau das verhindert, dass sich der Krieg ausweitet. Die Ukrainerinnen und Ukrainer wünschen sich Frieden, wir in Europa auch, und deshalb ist alles, was an Bestreben unterwegs ist, um das zu erreichen, wünschbar. Es muss allerdings immer im Rahmen der Perspektive geschehen, die wir von vornherein verfolgen. Also, wir brauchen unsere eigene starke Verteidigungsallianz, die NATO. Wir müssen in Europa für unsere eigene Sicherheit Sorge tragen, wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Ukraine eine unabhängige, souveräne, demokratische Nation sein kann, auf dem Weg in die Europäische Union, und auch mit einer starken eigenen Armee. Und diese Form, einen Frieden zu erreichen, ist die, die wir aktiv vorantreiben und von der wir hoffen, dass sie sich auch in kürzester Zeit realisieren kann.
Frage: Herr Bundeskanzler, die Einigung aus Berlin ist ja hier in Brüssel eigentlich mit großer Freude aufgenommen worden, dass jetzt Deutschland auch bereit ist, so die Geldschleusen zu öffnen. Wenn man nach Berlin schaut -
Bundeskanzler Scholz: Wenn ich etwas dazwischen sagen darf – Ich finde auch gut, dass das, was ich die ganze Zeit vorgeschlagen habe, jetzt allgemeiner Konsens ist. Sogar die Verfassungsänderung vielleicht eine Mehrheit findet.
Frage: Aber jetzt, wenn man nach Berlin schaut, da ist ja noch gar nicht so ganz klar, ob diese Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat wirklich zusammenkommt. Einige SPD-Abgeordnete wollen vielleicht gar nicht mit mitstimmen oder anwesend sein, die Grünen sind auch noch nicht ganz überzeugt. Was für Auswirkungen hätte das eigentlich, wenn das schiefgehen sollte auf die EU, also auf Brüssel und auch international? Das wäre doch ein wahnsinniger Ansehensverlust für die Bundesrepublik.
Bundeskanzler Scholz: Ich will noch einmal folgendes unterstreichen: Es ist richtig, dass sich jetzt alle darauf verständigen, dass wir die Fesseln, die wir uns selbst angelegt haben, wegkriegen. Wir müssen uns entfesseln. Und das ist jetzt die Absicht, insofern wünsche ich mir natürlich, dass der Entfesselungsvorgang auch gelingt. Das sage ich ausdrücklich als jemand, der immer dafür gestanden hat, dass man mit seinem Geld haushalten soll und der auch wichtig findet, dass wir eine Schuldenregel in unserem Grundgesetz haben. Aber die Regelungen, die wir bisher gefunden haben, haben uns nicht ermöglicht, die Aufgaben zu stemmen, vor denen wir stehen. Das gilt nicht nur für die Sicherheit unseres Landes, das gilt auch für die Zukunftsfähigkeit und den Zusammenhalt. Und dass wir in eine Situation geschlittert sind, wo wir uns immer entscheiden müssen zwischen dem einen und dem anderen, ohne dass das wirklich notwendig ist als drittstärkste Wirtschaftsnation der Welt und als Land, das im Gegensatz zu allen anderen G7-Staaten fast nur 60 Prozent Staatsverschuldung hat, wenn die anderen über 100 Prozent liegen… das ist schon gut, dass das endlich jetzt geschieht. Ich empfinde das als einen großen Fortschritt.
Ich möchte gerne auch darauf hinweisen, dass das der Grund ist, warum ich entschieden habe, die letzte Regierung zu beenden und früher Wahlen in Deutschland herbeizuführen, die dann nicht im September, sondern Ende Februar stattgefunden haben. Weil wir uns nicht einigen konnten, wie wir das Geld für die Unterstützung der Ukraine mobilisieren. 15 Milliarden wären es ungefähr gewesen in dem laufenden Haushalt – genau das Problem, dass wir für einen Haushaltsabschuss eine Haushaltsfinanzierung hätten lösen müssen. Und jetzt ist klar, dass wir uns diese Fesseln nicht mehr antun. Eine gute Entscheidung. Ich hoffe, es kommt auch dazu, dass das die notwendigen Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat findet. Und da ich zuversichtlich und Optimist bin, gehe ich mal davon aus: Das klappt auch.
Frage: Vielen Dank. Herr Bundeskanzler, auch noch mal zur Finanzierung. 500 Milliarden Sondervermögen, Ausnahmen für Verteidigungsausgaben der Schuldenbremse, die nationale Ausweichklausel unter dem Anschluss eine vielleicht goldene Regel für Verteidigungsausgaben in den europäischen Schuldenregeln, 150 Milliarden Euro vom EU-Haushalt gesicherte Kredite, sprich auch Eurobonds. Wie stellen Sie sicher oder wird sichergestellt werden, dass die finanziellen Risiken, die sich daraus ergeben und die Zinslasten für die Eurozone als Ganzes und für die EU, beherrschbar bleiben? Und ist das der Einstieg in eine dauerhafte Schuldengemeinschaft?
Bundeskanzler Scholz: Letztes kann ich mit Nein beantworte. Gerade wenn Sie den Vorschlag, den die Kommission gemacht hat, zur Kreditfinanzierung betrachten, ist das ja sehr offensichtlich. Es handelt sich dort um Kredite an Mitgliedsstaaten, die über verfügbare Mittel, den sogenannten Headroom, gegenfinanziert werden. Anders als bei dem Programm, das wir während der Corona-Krise wegen der Kurzarbeit entwickelt haben, Sure genannt, hier in Europa, gibt es gar nicht mal die Notwendigkeit von Garantien seitens der Mitgliedsstaaten, sondern das kann einfach durch diesen Headroom abgedeckt werden. Interessant ist das für die Mitgliedsstaaten, die höhere Zinsen zahlen müssten, als die Europäische Union. Für Deutschland also zum Beispiel nicht. Und wir werden davon auch keinen Gebrauch machen. Deshalb ist ganz wichtig, dass wir bei den konkreten Regeln, die wir da vereinbaren, auch aufschreiben, dass diejenigen, die mit eigenem Geld gewissermaßen das tun, auch an Kooperationsprojekten teilnehmen können. Und ich habe auch dafür geworben, dass das auch für Länder, wie Großbritannien, Norwegen, die Schweiz oder die Türkei gilt, die also auch einbezogen werden können. Und ansonsten sind die Summen, die Sie aufgerufen und erwähnt haben, natürlich sehr groß. Aber es handelt sich ja immer um Vorschläge, die sich auf zehn Jahre beziehen, also die Dimensionen muss man dann ja in jährlichen Budgets ganz anders veranschlagen, was Deutschland betrifft. Trotzdem geht es erstmal darum, dass wir den notwendigen Spielraum haben, das zu tun, was jetzt erforderlich ist. Und das, glaube ich, ist überfällig und insofern eine gute Sache.
Frage: Herr Bundeskanzler, Ungarn hat die Schlussfolgerung zur Ukraine nicht mitgetragen. Wie optimistisch sind Sie, dass die EU die Ukraine weiterhin verlässlich unterstützen kann? Und zweite Frage, wenn ich darf: Angela Merkel hat Sie damals vor ihrem Amtsantritt mitgenommen. Ich glaub es war der G20-Gipfel in Rom. Können Sie sich vorstellen, das in zwei Wochen auch mit Friedrich Merz zu tun?
Bundeskanzler Scholz: Die Tatsache, die sie berichten, ist falsch.
Frage: Oh. Und die erste Frage?
Bundeskanzler Scholz: Ich wollte nur klarstellen: Die Tatsache, die Sie berichten, ist falsch. Und ich frage mich, warum Sie das fragen. Weil die Tatsache, die Sie hätten sagen können, ist, dass ich als Finanzminister, wie immer beim G20-Gipfel, anwesend war.
Frage: Und die erste Frage?
Bundeskanzler Scholz: Die erste Frage ist – Was war das?
Frage: Viktor Orban hat die Schlusserklärungen -
Bundeskanzler Scholz: Hat er ja schon öfter nicht. Also, das hat die Union nicht umgeworfen. Wir werden gemeinsam handeln.
Frage: Schönen guten Abend. Präsident Trump hat heute Abend Artikel 5 nochmal infrage gestellt. Er hat gesagt: „Wer nicht zahlt, den werden wir nicht schützen.“ Was ist Ihre Reaktion darauf? Ist es etwas, was er da nur daher sagt, oder ist es ein realistisches Szenario?
Bundeskanzler Scholz: Die Mitgliedstaaten der Nato sind alle auf dem Weg, die zwei Prozent, die wir vereinbart haben, zu erreichen. Für Deutschland und die allermeisten Mitgliedsstaaten gilt das längst. Andere sind dabei, das unmittelbar zu tun, und zwar mit Plänen, die sie längst konkret festgelegt haben. Also, das ist gar kein reales Thema, denn die zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung wird als flächendeckendes Konzept der NATO überall durchgesetzt sein. Und warum sollen wir uns da über theoretische Fragen unterhalten?
Frage: Herr Bundeskanzler, ich möchte gerne noch mal zurückkommen auf den Friedensprozess, den Sie ja sehr ausführlich auch erläutert haben, was die Ziele sind. Nun haben wir ja seit dem Treffen in London gelernt, dass der französische Präsident Macron gemeinsam mit dem britischen Premierminister Starmer versuchen soll, mit Selenskyj gemeinsam eine Art Gerüst für einen Friedensprozess zu erarbeiten. Es ist gestern Abend bei der Rede von Macron an die Nation aufgefallen, dass er mehrfach auch Deutschland erwähnt hat, als Teil dieser Koalition der Willigen - und ich habe das so verstanden, auch der diplomatischen Bemühungen im Hintergrund. Jetzt hat man sich heute hier in Brüssel mit Selenskyj auch wieder getroffen. Was können Sie denn sagen, auch öffentlich sagen, was in den nächsten Tagen zu erwarten ist, was diesen Friedensprozess betrifft? Es hat heute Abend die Meldung gegeben, dass es in Saudi-Arabien ein Treffen zwischen ukrainischen Vertretern mit den USA geben soll. Man weiß nicht, was der amerikanische Präsident Trump damit gemeint hat, dass er bald Putin treffen will. Was ist da Ihre Einschätzung, was in den nächsten Tagen oder vielleicht zwei Wochen – Sie haben gesagt, Sie hoffen, in kürzester Zeit – passieren wird?
Bundeskanzler Scholz: Also, zunächst einmal haben Sie richtig wahrgenommen, dass die E-3, also Deutschland, Frankreich und Großbritannien funktionieren, als enge Zusammenarbeit auf allen Ebenen und auch ganz konkret untereinander, ihr eigenes Vorgehen im Hinblick auf die Vereinigten Staaten von Amerika abstimmen, wo wir agieren. Aber auch im Hinblick auf die Ukraine, die wir unterstützen. Und das tun wir natürlich klugerweise eng eingebunden in die Europäische Union, in die NATO-Staaten, in all diejenigen, die wir als Partnerinnen und Partner brauchen, damit das ein Erfolg werden kann. Und in der Tat finden jetzt auch nächste Gespräche statt. Sie haben über eine Meldung eben berichtet. Gestatten Sie mir, dass ich jetzt nicht alles dazu weiter sagen will. Aber, es ist etwas unterwegs. Ob dabei Dinge am Ende rauskommen, das kann natürlich niemand vorhersagen. Aber ich glaube, dass es deshalb umso wichtiger ist, noch einmal zu betonen, was die Prinzipien sind, über die ich, die anderen Freunde in Großbritannien und Frankreich, aber auch vielen andere, einig sind, nämlich dass das Ergebnis immer sein muss, dass wir jetzt unmittelbar eine Verbesserung erreichen, indem z.B. zustande kommt, dass die Waffen schweigen in der Luft und auf See und dass keine kritische Infrastruktur mehr angegriffen wird und wir gleichzeitig sicherstellen, dass Gefangene ausgetauscht und entführte Personen zurückgebracht werden. Das wären gute, vertrauensbildende Maßnahmen, um dann auch weitere Vertiefung zu erreichen.
Und dazu gehört selbstverständlich auch, dass wir dann eine klare Perspektive haben. Diese lautet:
Erstens: Für die aktuelle Situation, dass die Ukraine weiter unterstützt wird. Deshalb werben wir auch sehr aktiv dafür, dass die USA Teil des Teams sind, das die Ukraine unterstützt, wenn sie sich verteidigt gegen den russischen Angriff.
Zweitens wird es darum gehen, dass wir dann eben auch eine Situation haben, wo die Ukraine sicher sein kann in einer Situation, wo die Waffen schweigen. Und es wird nicht gehen, ohne eine starke, eigene Armee. Letztendlich gehört auch dazu, dass wir Einigkeit darüber haben, dass es sich bei der Ukraine um eine unabhängige, souveräne, demokratische Nation auf dem Weg in die Europäische Union handelt.
Frage: Chancellor, you have changed entirely your position on the Stability and Growth Pact, saying that the exclusion should go further than what the Commission has proposed. When it was negotiated, Germany argued that actually that is that and markets won’t make a difference on what is excluded or not from the rules. So, what has changed?
And are you worried from that sustainability point of view, given the rise in the yields on the bond?
And also, do you think that other countries which have not met the 2% major spending target, should be benefiting from this exclusion? Thank you.
Bundeskanzler Scholz: We are in a very special situation, when it comes to defence. And necessary capabilities für our countries. And because of this, I think it is necessary, that we take a decision, that makes it possible that we spend more, and we couldn't be restricted to do the necessary things. And that's why we are discussing now in Germany about changing the regulations we have, so that we are able to assist the proposal which we are discussing. To not count the money that is going over 1 percent of the GDP, when it comes to the stability criteria we have in Germany. If you are doing for yourself due to accounting principle, I would say: It is true, that we should say this should be also a good solution for the European Union. And this is how we see it. But this is not going out of the idea of stability. It is just saying that we are in a very new situation where it's necessary that we have the room for manoeuvre and I'm very happy, that now it looks like, that in Germany there is a broad consensus on taking a step into that direction. «
Quelle: Pressemitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 7. März 2025