Veröffentlicht am: 30.03.2025 um 23:06 Uhr:

Bundesregierung: Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier bei einer Ordensverleihung während der „Ortszeit Stadtallendorf“

Am 20. März 2025 hat Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier in Stadtallendorf bei einer Ordensverleihung während der „Ortszeit Stadtallendorf“ folgende Rede gehalten

» Ich weiß nicht, ob es Ihnen genauso geht: Die Weltlage macht es einem zurzeit nicht gerade leicht, einmal die schweren Gedanken abzustreifen und sich aus vollem Herzen über etwas zu freuen. Heute allerdings ist wirklich ein Tag, der es uns einfach macht, denn heute sind wir hier in der Stadthalle von Stadtallendorf zusammengekommen, um etwas zu feiern, das uns allen jede Menge Grund zur Zuversicht gibt. Und das, liebe Gäste, das sind Sie ganz persönlich!

Denn, meine lieben künftigen Ordensträgerinnen und Ordensträger, Sie alle kümmern sich! Sie kümmern sich um andere Menschen, Sie kümmern sich um Schwächere und Kränkere, um Jüngere und Ältere. Sie geben anderen Kraft und Hoffnung. Sie entfachen Begeisterung und Kreativität. Sie leben Sportsgeist und Miteinander. Sie ermutigen und ertüchtigen Ihre Mitmenschen. Sie stärken damit an jedem einzelnen Tag nicht nur andere, sondern uns alle als Gesellschaft. Sie machen sich um uns verdient. Sie sind der größte und wichtigste Schatz, den unser Land sein Eigen nennen darf! Ich freue mich darüber. Und deshalb möchte ich Ihnen heute – ganz offiziell und stellvertretend für unser Land – Danke sagen.

Die höchste Anerkennung, welche die Bundesrepublik für Verdienste um das Gemeinwohl hat, ist der Verdienstorden. Und die schönste Pflicht, die ich als Staatsoberhaupt habe, ist es, diese Orden zu verleihen. Mit Ihnen freue ich mich also darüber, Sie heute auszuzeichnen. – Bevor ich das gleich tun werde, möchte ich Ihnen noch ein bisschen etwas darüber erzählen, warum uns ausgerechnet Stadtallendorf zusammenführt. Schließlich kommen Sie alle ja extra aus vielen Teilen Hessens hierher. Auch dafür unseren herzlichen Dank.

Die kurze Erklärung ist: Auch die Feier in der Stadthalle hier hat damit zu tun, dass es mir ein großes Anliegen ist, Gemeinschaft, Zusammenhalt in unserem Land zu festigen und zu stärken. Denn: Damit man zusammenhalten kann, muss man erst einmal zusammenkommen.

Seit Beginn meiner zweiten Amtszeit heißt es für mich inzwischen regelmäßig: raus aus Berlin, rein ins Land. Rund vier Mal im Jahr verlege ich deshalb meinen Amtssitz gleich für einige Tage in kleinere und mittelgroße Städte in Deutschland. Menschen treffen, zuhören, lernen – das steht im Mittelpunkt meiner „Ortszeiten“.

Es geht mir um die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger, die oft anders ist als der Blick von Berlin auf das Land. Ich möchte wissen, was die Menschen vor Ort bewegt, womit sie hadern. Ich möchte ihre Fragen hören, aber auch herausfinden, was sie gut finden, welche Ideen und Lösungen sie in ihren Gemeinden, in ihren Firmen, ihren Vereinen, ihren Initiativen, ihren Kommunen verfolgen und welche es wert sind, von anderen nachgemacht zu werden. Deshalb gehören zu jeder „Ortszeit“ viele Besuche bei den Akteuren und Aktiven – in Vereinen, in Jugendhäusern, bei Unternehmen, auch bei den Streitkräften, Polizeischülern oder in Krankenhäusern.

Und die Zeit, die ich jetzt hier in Stadtallendorf verbracht habe, war vollgepackt mit vielen inspirierenden, auch lehrreichen Begegnungen. In dieser jungen Stadt, die von Beginn an Erfahrungen mit Zuwanderung und Integration gesammelt hat, haben wir viel über die Chancen und Herausforderungen von Migration gesprochen. In Stadtallendorf war das Ankommen und Mitmachen immer schon Tradition – und bekanntlich ist dies eine starke Quelle für Identität und Engagement. Das habe ich in diesen Tagen an so vielen Orten gespürt. Wie die Schweinsberger zum Beispiel seit acht Jahren ihren gemeinsamen Mittagstisch organisieren und so auch jede Woche zum Austausch zusammenkommen, das hat mich sehr beeindruckt. Es ist eine Idee, die andere Städte ruhig nachmachen könnten, finde ich.

Im Jugendtreff im Südstadtkiosk haben mich die jungen Leute ganz spontan zu einem selbstgekochten Essen eingeladen. Und im Gespräch war zu spüren, wie sehr sich die Gruppe als Gemeinschaft fühlt und wie viel sie miteinander auf die Beine stellt. Ein wunderbares Beispiel für gelebte Integration ist auch das Boxcamp, das ich danach besuchen konnte. Hier zählt nicht, wo du herkommst. Hier zählen Respekt, Fairness, Miteinander und das Einhalten von Regeln.

Ein herausragendes Beispiel gibt Stadtallendorf auch bei der Aufarbeitung seiner Geschichte: Bei der Erforschung und Dokumentation des Schicksals Tausender Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hier in der Zeit des Nationalsozialismus hat die Stadt Pionierarbeit geleistet, die ein Beispiel für ganz Deutschland setzt. Wie wichtig es ist, gerade in Zeiten, in denen manche eine Schlussstrichdebatte anzetteln, gemeinsam die historische Verantwortung anzunehmen, das habe ich bei einem gemeinsamen Besuch mit Soldatinnen und Soldatinnen im Dokumentationszentrum besprochen. Und ich muss sagen: Wer den Offizieren und Unteroffizieren mit ihrer klaren Haltung begegnet ist, dem ist um die Verteidigung unserer Demokratie nicht bange.

Und soeben bei meinem Besuch bei Ferrero habe ich viel über die besondere Geschichte dieser Stadt erfahren und wie Arbeitsmigration diese Stadt geprägt hat. Gleich ein ganzes Unternehmen hat seine Fertigung aus Italien hierher verlegt. Das Werk ist heute das weltweit größte Süßwarenwerk – entstanden aus einer Idee in Italien und zustande gekommen auch dank vieler sogenannter Gastarbeiter, die damals aus Südeuropa zu uns gekommen sind. Und das hat von Anfang an bedeutet, dass man sich hier in Stadtallendorf um Integration bemühen musste. Und sie ist gelungen. Das hat Deutschland und Italien einander nähergebracht und reicher gemacht hat – menschlich, kulturell und nicht zuletzt kulinarisch.

Zur „Ortszeit“ gehört es auch ganz zentral, dass wir versuchen, nichts schönzureden, dass Probleme und Belastungen klar angesprochen und diskutiert werden, weil wir nur so zu Lösungen kommen, die die Bürgerinnen und Bürger erwarten. Über Chancen und Herausforderungen der Migration und auch über die Notwendigkeit von Zuwanderung in den Arbeitsmarkt haben wir gestern bei der „Kaffeetafel kontrovers“ diskutiert. Bei meinen Gesprächen mit den Vertreterinnen und Vertretern der Kommunalpolitik stand auch im Mittelpunkt, wie wichtig fürs Ankommen der Spracherwerb ist – bei Kindern wie Erwachsenen. Und ich habe gehört, mit welchen Herausforderungen die Stadt bei der Zuwanderung zu kämpfen hat, in den Kitas und Schulen zum Beispiel, auch bei der Jugendarbeit. Ich weiß, dass Kommunen oft an der Belastungsgrenze arbeiten, auch wenn die Zahl der Neuankommenden in jüngster Zeit deutlich sinkt. Zugleich war ich froh zu hören, wie viel Solidarität die Menschen hier in Stadtallendorf in den vergangenen Jahren bei der Aufnahme von Geflüchteten, zuletzt vieler Ukrainerinnen und Ukrainer, gezeigt haben.

Dieses Miteinander, das spürt man nach drei Tagen hier in der Stadt auch wirklich: Die Menschen sind miteinander und mit ihrer Stadt verbunden. Wenn man durch Deutschland reist und sich Zeit nimmt, etwas genauer hinzuschauen, dann findet man überall Ideen, Initiativen, vor allem Menschen, die einem sehr viel Mut machen und mit ihrem Engagement auch Vorbild sind für andere.

Das bringt mich direkt zu dem eigentlichen Anlass dieser Feier: Und das sind Sie, die vielen Mutmacherinnen und Mutmacher aus Hessen, nicht die ewigen Besserwisser, sondern die Bessermacher haben wir hier in der ersten Reihe sitzen, die ich nun gleich für Ihr Engagement auszeichnen darf. Sie alle haben sich in unterschiedlichsten Bereichen engagiert – kommunalpolitisch oder in der Jugendarbeit, seelsorgerisch, sozial oder im Sport, für Kinder, Familien und Senioren. Sie alle haben sich mit Ihrer beharrlichen ehrenamtlichen Arbeit um unser Land verdient gemacht.

Ich freue mich, Sie dafür mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland auszuzeichnen! Ihnen allen herzlichen Glückwunsch! «


Quelle: Bulletin 22-1 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 21. März 2025

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