Veröffentlicht am: 14.11.2024 um 18:24 Uhr:
Bundesregierung: Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Robert Habeck, zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz
» Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Anders als in anderen europäischen Ländern ist die Debatte über CO2-Abscheidung und -Speicherung in Deutschland ganz lange schiefgegangen. Und das hat einen Grund, den ich damals live erlebt habe. Es war in den Nullerjahren – ich war frisch gewählter Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein –, als Folgendes passierte: Auf einmal standen Männer in Anzügen auf den Koppeln der Bauern mit großen Vermessungsrohren. Als die Bauern rausgegangen sind und fragten: „Was macht ihr auf meinem Grundstück?“, haben die gesagt: „Gute Nachricht für euch. Wir bauen euch hier eine CO2-Speicher-Verpressanlage. Diese soll CO2 aus Nordrhein-Westfalen, aus dem Kohlekraftwerk Datteln, über 750 Kilometer nach Schleswig-Holstein bringen.“ Die Bauern haben sie von der Koppel gejagt.
Dadurch ist die Diskussion, jedenfalls in meinem Bundesland, völlig verunglückt. Niemand war dafür: die Bauern nicht, die CDU nicht, die SPD nicht, der SSW nicht, die Grünen nicht. Warum? Weil wir Alternativen hatten zu Kohlekraftwerken. Heute, viele Jahre später, stellt sich die Debatte aus vier verschiedenen Gründen anders dar:
Erstens. Deutschland steigt aus der Kohle aus. Entsprechend sieht der Gesetzentwurf auch keinen Pipelinetransport für CO2 aus Kohlekraftwerken vor, weil wir die Alternativen dafür, die damals hochgehalten wurden, aufbauen beziehungsweise aufgebaut haben.
Zweitens. Für andere industrielle Bereiche gibt es keine Alternativen. Es ist bisher nicht möglich, die sogenannten „Hard to abate“-Sektoren, also schwer zu dekarbonisierende Sektoren, klimaneutral zu machen, vor allem nicht die Zementwirtschaft. Es gibt also keine Alternative.
Drittens. Die Technik ist erprobt, und sie ist reif, und sie ist sicher.
Viertens. Die Zeit ist abgelaufen. Wir haben keine weiteren 15 oder 20 Jahre Zeit, zu überlegen, ob uns nicht doch noch etwas Besseres einfällt. Die globale Erderwärmung grassiert. Wir müssen jetzt die Technik nehmen, die verfügbar ist. Und es ist eine sichere Technik.
So legt die Bundesregierung einen sowohl differenzierten wie pragmatischen Gesetzentwurf vor, der industrie- und wirtschaftspolitisch ein Meilenstein ist. Natürlich wäre es nicht verboten gewesen, diese Erkenntnis, dass sich etwas verändert hat, auch schon in der Großen Koalition umzusetzen. Allein, wie so viele andere Dinge, es wurde nicht angepackt, vielleicht aus Angst vor der öffentlichen Debatte, vielleicht auch, weil man geglaubt hat: Was in den Nullerjahren richtig war, muss in den 20er oder 30er Jahren immer noch richtig sein.
Es ist auch ein klimapolitischer Meilenstein, weil, wie gesagt, in den „Hard to abate“-Sektoren keine Alternative da ist. Sie wird jetzt genutzt, um auch diese Sektoren klimaneutral zu machen.
Der Gesetzentwurf sieht einen schnellen Hochlauf der Infrastruktur vor. Die Infrastruktur soll im öffentlichen Interesse, Stichwort „Klimaschutz“, liegen. So schlagen wir es jedenfalls vor. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt ablaufen.
Deutschland soll natürlich nicht im Sinne von „not in my backyard“ sagen: Jetzt machen wir es, aber bestimmt nicht bei uns. Deswegen schlagen wir vor, mit Rücksicht auf die öffentliche Debatte und weil es die anderen Länder ebenfalls tun, erst mal nur zu erlauben, CO2 offshore, also auf hoher See, zu verpressen. Wenn Bundesländer allerdings sagen wollen: „Wir sind bereit. Wir wollen das gern bei uns tun“, dann haben sie die Möglichkeit, das lokal zu steuern. Dafür gibt es eine Opt-in-Möglichkeit, sodass es den Bundesländern freigestellt ist, das bei sich selbst zu machen. Das verhindert, dass NRW beschließt: Schleswig-Holstein soll unser CO2 nehmen. Das würde verhindern, dass Bayern beschließt: Wir brauchen etwas, aber es soll nach Niedersachsen gehen. Es gibt aber den Ländern die Möglichkeit, innerhalb der eigenen Gebietskörperschaft Verantwortung zu übernehmen, wenn sie es denn gern wollen.
Ich hoffe auf zügige Beratungen und auf Unterstützung für den – ich will es noch einmal sagen – tatsächlich wirtschafts-, industrie- und klimapolitisch großen Schritt nach vorn.
Vielen Dank. «
Quelle: Bulletin 88-3 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 30. September 2024