Veröffentlicht am: 21.03.2025 um 08:23 Uhr:

Bundesregierung: Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier zum 100. Gründungsjubiläum der Friedrich-Ebert-Stiftung

Zum 100. Gründungsjubiläum der Friedrich-Ebert-Stiftung hat Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier am 11. März 2025 in Berlin nachfolgende Rede gehalten

» Wenn Friedrich Ebert auf eins keinen Wert gelegt hat, dann aufs Protokoll. Erlauben Sie mir deshalb, dass ich meine Anredeliste sehr zusammenstreiche und nur sage: Verehrte Festgäste, verehrter Herr Ehrenvorsitzender, lieber Martin Schulz, danke für die Einladung. Danke, dass ich bei dieser wunderbaren Geburtstagsfeier dabei sein darf. Ich bin gerne gekommen, nicht nur, weil es wenig zu feiern gibt in diesen verrückten Zeiten, sondern auch, weil wir daran erinnern wollen, was in der ersten deutschen Demokratie auf den Weg gebracht worden, aber was von Antidemokraten wieder zerstört worden ist, dass nichts von selbst kommt und nur wenig von Dauer ist, wie jemand gesagt hat, den wir kennen, und was das heißt für unseren Auftrag heute.

Friedrich Ebert schaut mir auch heute noch jeden Tag über die Schulter. Seine Büste steht in meinem Amtszimmer hinter meinem Schreibtisch. Er war nicht nur das erste deutsche Staatsoberhaupt der 1918 errungenen Demokratie. Er ist auch Traditionsstifter für das Amt, das 1949 wieder gegründet worden ist und das ich heute ausüben darf. Sein markanter Kopf erinnert mich tagtäglich an seinen Kampf für die Demokratie und für soziale Gerechtigkeit und an seinen Kampf für ein Bildungsversprechen, das er zu Recht für unverzichtbar hielt, um die junge deutsche Demokratie zu festigen, und das tatsächlich für so viele den Weg zu einem Hochschulstudium öffnen sollte.

Dieses Vermächtnis Friedrich Eberts, das schützen, bewahren und fortentwickeln Sie, die nach ihm benannte Stiftung seit ihrer Gründung vor 100 Jahren. Damit sind Sie die älteste der heutigen politischen Stiftungen – aber eben nicht nur die älteste, sondern Sie haben Maßstäbe gesetzt und Ihrerseits demokratische Tradition begründet. Und darauf können Sie stolz sein! Sie führen ein Erbe weiter, aktualisieren es – und das in großer Verantwortung und Verpflichtung zugleich. Dafür danke ich Ihnen heute. Und ich gratuliere Ihnen allen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Partnern und Freunden, den Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung sehr herzlich zu diesem Jubiläum! Herzlichen Glückwunsch zum 100.!

Die politischen Stiftungen in Deutschland suchen ihresgleichen auf der Welt. Wir haben damit eine Pluralität in der politischen Bildung und Begabtenförderung, die wirklich – und ich bin ein bisschen rumgekommen – einzigartig ist, nicht wegzudenken aus der Verwurzelung unserer Demokratie in unserer eigenen Gesellschaft.

Wie wichtig, ja überlebenswichtig die Förderung von begabten jungen Demokratinnen und Demokraten für die Weimarer Republik sein würde, das wusste Reichspräsident Friedrich Ebert sehr gut – er selbst wie auch seine Frau, aus einfachsten Verhältnissen kommend. Demokraten aus dem Arbeitermilieu als Gegengewicht zu den traditionellen Eliten zu bilden, den Eliten, die sich oft noch das Kaiserreich zurückwünschten, das war seine zukunftsweisende Vision.

Was es heißt, Ziel von Hass und Hetzkampagnen antidemokratischer Kräfte zu sein, das hatte Friedrich Ebert selbst immer wieder erfahren müssen. Ihm war wie nur wenigen klar, wie sehr die junge deutsche Demokratie der Stärkung bedurfte, neuer Köpfe, überzeugter Demokraten. Er selbst verteidigte die noch junge, wenig geübte und in Teilen der Bevölkerung auch verhasste Staatsform trotz oder gerade wegen aller Anfeindungen. Er verteidigte sie gegen Agitation von Links- und Rechtsaußen. Friedrich Ebert war ein aufrechter Republikaner, ein überzeugter Demokrat aus Leidenschaft.

Soziale Gerechtigkeit, das war für ihn in einer Demokratie unabdingbar, ja, eine Voraussetzung für ihr Gelingen. Viele seiner politischen Gegner rümpften über seine Herkunft die Nase. Als „Sattlergeselle“ wurde er von der Hetzpresse bezeichnet. Und seine Legitimität als Reichspräsident wurde immer wieder infrage gestellt. Aus eigenem Erleben und auch durch seine Frau Louise hatte er ein ganz feines Gespür dafür, dass die tiefen sozialen Gräben, die die erste deutsche Republik prägten, überwunden werden müssten, um sie zu stabilisieren.

So verhasst Friedrich Ebert den Republikfeinden war, so sehr wurde er von anderen aber auch bewundert. An seiner Trauerfeier 1925 vor dem Berliner Reichstag nahmen fast eine Million Menschen teil. Sein früher Tod im Jahre 1925 markiert so etwas wie einen Kipppunkt der Weimarer Demokratie. Die demokratische Mitte versagte in der Wahl eines überzeugten Demokraten als Nachfolger Eberts. Hindenburg, ein den alten Mächten verbunden gebliebener Militär, wurde Reichspräsident. Gesellschaftliche Polarisierung und autoritäre Politikmuster prägten die letzten Jahre der Weimarer Republik, bevor die Nazis sie zerstörten.

Aber Ebert hinterließ eben auch nach seinem Tod ein Erbe, das wir bis heute nicht nur feiern – das wir nutzen und von dem viele hier in diesem Saal genießen konnten. Dank vieler Spenden konnte die nach ihm benannte Stiftung tatsächlich bald – noch in seinem Todesjahr – gegründet werden. Wenn es Weimar wirklich an Demokratinnen und Demokraten fehlte, wollte diese damals neu gegründete Stiftung etwas dagegensetzen: eine republikanische Haltung für Freiheit und Gleichheit. Und wie notwendig ist diese Mission, diese Haltung, auch gerade heute, leider gerade heute wieder!

Viele von uns haben derzeit das Gefühl, dass es die Welt auseinanderreißt – zwischen Europa und dem globalen Süden, zwischen Europa und Amerika, zwischen Ost und West, zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Respekt vor dem Völkerrecht samt Landesgrenzen und auf der anderen Seite neoimperialem Wahn. Um unseren Kurs zu bestimmen, um all die Umbrüche einordnen zu können, brauchen wir so etwas wie einen Zukunftsradar für Demokratie, wie Sie ihn sich in der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Leitbild gemacht haben.

Und wir brauchen mehr denn je Organisationen, die Kontakte in alle Welt pflegen, den Austausch über Grenzen hinweg beleben, so wie Sie es in Ihrem internationalen Netzwerk tatsächlich tun. Erst letzte Woche in Südamerika habe ich neue Bestätigung dafür erfahren. Mit mehr als 100 Auslandsbüros sind Sie in allen Teilen der Welt vertreten. Ob es um internationale Gewerkschaftsarbeit geht oder die Stärkung der Zivilgesellschaft, die Entwicklung von Sicherheitsarchitekturen: Sie sind nah dran und sehen sehr schnell, wo Unterstützung gebraucht wird.

Internationale Zusammenarbeit ist immer ein Geben, ein Nehmen. Weltweit profitieren demokratische und gewerkschaftliche Kräfte von den Projekten der Friedrich-Ebert-Stiftung, von Ihrem Know-how, Ihrer Solidarität. Aber genau davon profitieren auch wir in Deutschland. Mit Ihnen und Ihren lokalen Mitarbeitern und Partnern verfügen wir über ein ganz kostbares internationales Netzwerk in den Zivilgesellschaften, aber auch jenseits davon in der Politik. Und Ihre Auslandsbüros geben Input für unsere Wirtschaft, für das Regierungshandeln im eigenen Land und, fast am wichtigsten, für unsere Positionierung in einer schwieriger gewordenen Welt. Internationale Zusammenarbeit, das ist nicht nur ein Gebot von Humanität. Internationale Zusammenarbeit trägt entscheidend zum weltweiten Austausch bei. Und in einer Zeit wie der heutigen kann man das gar nicht hoch genug einschätzen!

Wenigstens verstehen, was anderswo in der Welt passiert, warum viele uns schätzen, manche uns ablehnen, was Hintergründe von Konflikten und Kriegen sind, wo Friedensperspektiven sein könnten, all das brauchen wir, um für uns selbst eine Position in der Welt zu bestimmen. Aber das ist nicht so einfach. Das ist schwieriger geworden in den letzten Jahren – auch für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Denn gleichzeitig haben sich in vielen Ländern die Arbeitsbedingungen für politische Stiftungen dramatisch verschlechtert. Heute gibt es leider immer mehr Staaten, in denen die Spielräume von politischen Stiftungen eingeengt werden und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Repressalien rechnen müssen. Und es gibt Länder wie Russland oder den Iran, in denen sie gar nicht mehr arbeiten können. Und lange haben wir mit Ägypten ringen müssen, dass Stiftungen, denen die Arbeit schon untersagt war, wieder zurückkehren durften.

Ich bin überzeugt: Wir dürfen uns von all dem nicht einschüchtern und nicht entmutigen lassen. Und ich weiß: Sie tun es nicht! Und dafür bin ich, dafür sind wir hier im Saal alle dankbar! Man kann es ja auch von der anderen Seite sehen: Dass autoritäre Staaten so viel Aufwand betreiben, um gegen politische Stiftungen vorzugehen, das zeigt doch gerade, wie notwendig deren Einsatz für Demokratie, für Menschenrechte und weltweite Zusammenarbeit tatsächlich ist! Deshalb bleibt nicht nur wichtig, dass sich die deutsche Politik für gute Arbeitsbedingungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Ausland einsetzt, sondern es wird tatsächlich von Tag zu Tag wichtiger!

Die Bedrohung der Demokratie, die neue Faszination des Autoritären, die Verachtung demokratischer Institutionen und ihrer Repräsentanten sind leider auch eine Realität in unserem eigenen Land. Zu lange waren zu viele zu sicher, dass die Bedrohung der Demokratie nur von außen kommt, von den Feinden des Westens. Dass jetzt sogar die Führungsmacht des demokratischen Westens die Friedens- und Nachkriegsordnung in Europa für obsolet erklärt, das hätten wir uns doch alle bis vor Kurzem nicht vorstellen können. Dass ausgerechnet das Land, dem wir unsere Nachkriegsdemokratie verdanken, heute gegen liberale Ausprägungen der Demokratie zu Felde zieht, sogar antidemokratische Kräfte in unseren Ländern fördert und stärkt, das erschüttert uns. Aber sprachlos machen darf es uns nicht. Wir müssen das, was wir in unseren eigenen Händen halten, schützen, festigen, neu beleben: ein geeintes, starkes, demokratisches Europa! Und: Wir müssen in Europa und in Deutschland Vertrauen in die demokratischen Institutionen und ihre Repräsentanten zurückgewinnen.

Wir brauchen Menschen und Institutionen, die sich gegen die Verächter der Demokratie stellen, die ihnen nicht das Feld überlassen. Und hier leisten Sie, die Friedrich-Ebert-Stiftung und auch andere politische Stiftungen so wertvolle Arbeit – eine Arbeit, die sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen muss, die sich immer wieder strategisch neu ausrichten muss. Rückzug, auch unter Druck, ist jedenfalls keine Lösung, erst recht keine gute Lösung. Ich möchte Sie ermutigen, in der nationalen wie der internationalen Arbeit alle Räume zu nutzen und sie, wo immer möglich, auch wieder zu erweitern.

Politische Bildung, Fortbildung für Menschen, die politisch, gewerkschaftlich oder bürgerschaftlich aktiv sind, politische Beratung für Wissenschaft und Wirtschaft – all das gehört zu Ihrem beeindruckenden Programm und ist es geblieben, trotz des Haushaltsdrucks. Aufklären, damit wir besser verstehen, was in unserer Gesellschaft vor sich geht: Das ist Ihr Anspruch. Und dafür leisten Sie wertvolle Arbeit – ich denke nur, um ein Beispiel herauszugreifen, an Ihre „Mitte-Studie“, die uns regelmäßig Erkenntnisse über die Einstellung der Bürgerinnen und Bürger zu unserer Demokratie und zu den demokratischen Grundrechten liefert. „Die distanzierte Mitte“, das war der Titel Ihrer neuesten Studie – ein Befund, bei dem wir nicht zur Tagesordnung übergehen können, ein Befund, der durchaus besorgniserregend ist, denn er belegt, dass sich „ein deutlich größerer Anteil der Mitte der Gesellschaft von demokratischen Werten, Normen und Grundprinzipien“ entfernt. Das war Ihre Prognose, noch bevor die Prognose, jedenfalls zum Teil, in Wahlergebnissen bestätigt wurde. Und damit geht oft, auch das belegt die Studie, gleichzeitig ein starker Anstieg rechtsextremer Einstellungen inklusive Feindseligkeit gegenüber Minderheiten einher.

Umso wichtiger ist es, dass Sie den Menschen den Rücken stärken, die sich einsetzen für Zusammenhalt, für Solidarität, für Gerechtigkeit, für Demokratie. Sie helfen mit, engagierte Demokratinnen und Demokraten gegen die immer heftigeren Angriffe von Ex­tremisten zu schützen. Das ist es, genau das ist es, was wir jetzt brauchen: Genau die zu stärken, sichtbar und hörbar zu machen, denen unsere Demokratie am Herzen liegt. Genau das tun Sie. Und dafür danke ich Ihnen heute im Namen unseres Landes!

Ich bin überzeugt, dass wir bei unserem Einsatz für Demokratie massiv zulegen müssen. Gleichgültigkeit und Abwarten ist keine Haltung. Demokratisches Engagement, Einsatz für unser Gemeinwesen ist das Gebot der Stunde. Deshalb: Nehmen wir das Erbe Friedrich Eberts neu an! So wie er müssen wir mit Verve, mit Leidenschaft, mit aller Kraft einstehen für Demokratie, für Freiheit in unserem eigenen Land und in Europa. Auch die Gesellschaft muss wieder lernen, dass Demokratie nicht nur dann gut ist, wenn Entscheidungen dem eigenen Interesse nutzen.

Selten gibt es in den hochkomplexen Gemengelagen – sei es Rente, Gesundheit, Klima, Wirtschaft – nur richtig oder falsch. Demokratie ist eher der tägliche Umgang mit Zielkonflikten. Und das verlangt Vertrauen in die Institutionen und vor allem immer wieder und von allen Bereitschaft zum Kompromiss! Ja, die Suche nach Kompromissen, der Interessenausgleich – all das ist oft mühsam und anstrengend. Aber mit ein bisschen Erfahrung sage ich: In keiner anderen Staatsform werden die Rechte aller Bürger so stark berücksichtigt. In keiner anderen Staatsform sind die Freiheiten so groß. Und keine andere Staatsform – das ist mir am wichtigsten – ist besser in der Lage, auch Fehler zu korrigieren, die vorkommen. Und wir sollten nicht vergessen, dass uns genau das, Fehler zu korrigieren, auch in der Vergangenheit, auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder gelungen ist.

Jetzt müssen wir die Kraft haben, aus einem doppelten Epochenbruch – nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und nach dem Entfernen der USA von Europa –, nach diesem doppelten Epochenbruch müssen wir jetzt die Kraft haben, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen: Die Stärkung unserer Sicherheit steht vorne dran, aber es ist mehr zu tun. Und die Erinnerung an unsere eigenen Stärken sollte uns Zuversicht für diese höchst anspruchsvolle Aufgabe in den nächsten Jahren geben.

Zum Schluss, liebe Festgäste: Es ist großartig, dass Sie diesen 100. Geburtstag mit einem Demokratie-Festival begleiten. Wir brauchen Begeisterung für Demokratie, neuen Schwung, der mitreißt in der Demokratie, auch diejenigen mitreißt, die der Demokratie möglicherweise inzwischen distanzierter gegenüberstehen.

Und auch das will ich nicht vergessen: Ich selbst habe der Friedrich-Ebert-Stiftung viel zu verdanken. Ich komme aus einer Familie, in der Abitur und Universität für die Kinder nicht vorgesehen waren. Und dank der Friedrich-Ebert-Stiftung konnte ich mit finanzieller Unterstützung studieren, Erfahrungen machen über mein eigenes Studium, den Studiengang und den Ort des Studiums hinaus, mit anderen Worten: Netzwerke knüpfen. Das hat mir unglaublich geholfen, meinen Weg zu gehen. Dafür danke ich auch persönlich! Und ich füge eine Bitte an: Helfen Sie bitte weiter jenen, denen eine Bildungskarriere nicht in die Wiege gelegt ist, ihren Weg zu gehen. Machen Sie weiter – mit Herz, Mut und Hoffnung – und ermutigen Sie und unterstützen Sie Demokratinnen und Demokraten in aller Welt!

Ganz in diesem Sinne noch einmal meinen ganz herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag! «


Quelle: Bulletin 19-2 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 13. März 2025

Weitere Artikel zum Thema Bundesregierung, die Sie auch interessieren könnten...

Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier zum Internationen Frauentag

„Europa ist nicht Teil des Problems, Europa ist Teil der Lösung“

„Wir lassen die Ukraine nicht im Stich”

„Es geht um einen fairen und gerechten Frieden“

Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, bei den zivilgesellschaftlichen Konsultationen zu Afghanistans Verpflichtungen nach dem CEDAW-Übereinkommen