Veröffentlicht am: 24.05.2025 um 07:03 Uhr:

Bundesregierung: Rede des Bundesministers der Verteidigung, Boris Pistorius, in der Aussprache zur Außen-, Europa- und Menschenrechtspolitik der Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag

In der Aussprache zur Außen-, Europa- und Menschenrechtspolitik der Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag hat der Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius, am 14. Mai 2025 nachfolgende Rede in Berlin gehalten

» Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten!
Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen!

Deutschland und Europa haben in den letzten Jahren schmerzliche Erfahrungen gemacht. Wir mussten einer Wahrheit ins Auge blicken, die wir lange verdrängt hatten: Sicherheit und Frieden sind keine Geschenke, die uns einfach so in den Schoß fallen; sie sind das Ergebnis von Wachsamkeit und von harter, konsequenter und vor allem gemeinsamer Arbeit.

Das spiegelt auch unser Koalitionsvertrag wider, der einen starken Fokus hat auf Sicherheit und Verteidigung. Für uns war und ist klar: Wer morgen in Sicherheit leben will, der muss heute die Vorkehrungen dafür treffen.

Die Realität in Europa und in der Welt verlangt gleichzeitig Besonnenheit. Sie braucht Klarheit im Denken und Handeln, aber vor allem braucht sie Ergebnisse mit Substanz. Darum wird es für uns in dieser Legislaturperiode gehen. Ich will auf einige Bereiche näher eingehen.

Der erste Schritt beginnt mit den gesetzlichen Grundlagen und damit bei uns hier im Deutschen Bundestag. Wir werden sehr schnell ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg bringen. Das wird die Vergabeverfahren weiter flexibilisieren, verkürzen und damit zur Beschleunigung beitragen.

Mit dem Artikelgesetz zur militärischen Sicherheit passen wir auch das Sicherheitsrecht an. Wir stärken die Befugnisse des Militärischen Abschirmdienstes, verbessern den Schutz vor Sabotage, Spionage und Drohnen und schaffen die Voraussetzungen, um die Brigade Litauen effektiv und dauerhaft zu schützen.

Auch die veralteten Vorsorge- und Sicherstellungsgesetze – sie stammen zum größten Teil noch aus den 70er- und 80er-Jahren – müssen umfassend und schnell ressortübergreifend und realitätsnah überarbeitet werden, angepasst an die technischen und strukturellen Rahmenbedingungen unserer Zeit.

Eine verteidigungsbereite Bundeswehr braucht ein starkes rechtliches Fundament – ja, natürlich –, aber sie braucht vor allem auch die nötigen finanziellen Mittel. Durch das Entkoppeln des Verteidigungshaushalts von der Schuldenbremse haben wir deutlich mehr Flexibilität und Planungssicherheit geschaffen. Beides brauchen wir dringend; denn das Tempo der Krisen verlangt auch von uns ein neues Tempo.

Unsere Sicherheit – das sage ich nicht zum ersten Mal – darf nicht durch haushaltspolitische Zwänge gefährdet werden. Bedrohungslage geht vor Kassenlage. Das ist der Maßstab, an dem sich die Ausrüstung und Ausstattung unserer Streitkräfte und unserer Infrastruktur in diesen Zeiten orientieren muss.

Gesetze, Strukturen, Industrie und Beschaffungsamt müssen noch enger und zielgerichteter aufeinander abgestimmt werden. Gleichzeitig wollen und müssen wir die deutsche und europäische Rüstungsindustrie weiter fördern und vor allen Dingen verstärkt gemeinsam in Zukunftstechnologien investieren.

Aber es geht nicht nur um Geld und Beschaffung und neue Strukturen; es braucht vor allem Menschen. Es braucht Männer und Frauen, die bereit sind, Verantwortung für unser aller Sicherheit zu übernehmen. Wir haben noch zu wenig Personal für das, was unsere Streitkräfte leisten müssen.

Genau hier setzt der neue Wehrdienst an. Wir haben verabredet, dass wir zunächst auf Freiwilligkeit setzen, einen Wehrdienst schaffen, der zunächst auf Freiwilligkeit beruht und junge Menschen dazu animieren soll, Dienst für ihr Land zu leisten. Ich sage ganz bewusst und ehrlich: Die Betonung liegt auf „zunächst“, falls wir nicht hinreichend Freiwillige gewinnen können. Es wird ein sinnstiftender Dienst sein, einer, der allen jungen Menschen ein Angebot machen soll und dazu beiträgt, die dringend benötigte einsatzbereite Reserve zu schaffen.

In diesem Jahr beginnen wir mit dem, was wir leisten können. Schritt für Schritt bauen wir darauf auf, bis zur erforderlichen Zielgröße. Wir werden die Personallage mittel- und langfristig so verbessern, dass die Bundeswehr durchhaltefähig aufgestellt ist, für den Heimatschutz und für die Bündnisverteidigung. Erste erfreuliche Entwicklungen können wir bereits feststellen: Schon seit einem Jahr, aber jetzt noch einmal besonders, steigen die Bewerberzahlen. Wir konnten im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Quartal des Vorjahres über 20 Prozent mehr Einstellungen allein im militärischen Bereich verzeichnen. Das ist ein wichtiger Erfolg der Personalgewinnung.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, wir alle wissen natürlich: Sicherheit endet nicht an unseren Grenzen. Sie wirkt darüber hinaus. Sie entsteht auch durch die Fähigkeit, unsere Partner zu unterstützen und ihnen zu helfen, besonders an den Orten, wo Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung ganz konkret verteidigt werden müssen. Deshalb stehen wir entschlossen und geschlossen an der Seite der Ukraine. Ich will ausdrücklich betonen, dass wir, der Außenminister und ich, in diesen und auch in anderen Punkten sehr nahe beieinander sind. Ich bin sehr froh, das auch in dieser Wahlperiode sagen zu können.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs haben wir über 38 Milliarden Euro an militärischer Unterstützung geleistet. Damit ist Deutschland nach den USA der größte Unterstützer weltweit. Wir bilden ukrainische Soldatinnen und Soldaten aus, und wir liefern das, was gebraucht wird: Luftverteidigungssysteme, Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge, Drohnen und Drohnenabwehr. Das ist mehr als ein Zeichen europäischer Solidarität, das ist Verantwortung mit Substanz.

Gleichzeitig wird deutlich: Die Sicherheit Europas ist vor allem und zuerst die Verantwortung der Europäer selbst, natürlich eingebettet in die Nato, in unser Bündnis, natürlich zusammen mit unseren Alliierten in Europa und darüber hinaus. Aber ja, für die konventionelle Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit tragen zunächst wir als Europäer die zentrale Verantwortung. Auch deswegen ist die europäische Kooperation so wichtig: seien es die Rüstungsprojekte mit Frankreich, Future Combat Air System und Main Ground Combat System, sei es das Trinity House Agreement mit dem United Kingdom, sei es die enge Kooperation bis hin zu gemeinsamen Übungen mit Polen oder die Group of Five, die ich im November letzten Jahres ins Leben gerufen habe und deren Ziel es ist, Italien, Frankreich, Polen, Großbritannien und Deutschland, die großen Verteidigungsnationen in Europa, zusammenarbeiten zu lassen, um mehr Kooperation und mehr Abstimmung zu erreichen.

Und unsere europäische Verpflichtung zur europäischen Sicherheit zeigt sich eben auch durch Präsenz. Mit der dauerhaften Stationierung unserer Brigade in Litauen zeigen wir Stärke an der Ostflanke der Nato. Nie zuvor – das kann man gar nicht oft genug betonen – hat die Bundeswehr Truppen in dieser Zahl auf Dauer im Ausland zur Erfüllung von Bündnisverpflichtungen stationiert. Das ist ein enorm starkes, ein enorm wichtiges Signal, das gerade im Baltikum, aber auch in Polen mit großer Wertschätzung und Dankbarkeit aufgenommen wird. Das ist ein starkes Signal an unsere Partner und auch ein klares Zeichen an jeden möglichen Gegner. Deutschland steht zu seinem Wort. Und Deutschland wird bereitstehen, jeden Quadratzentimeter des Nato-Gebietes zu verteidigen. Nächste Woche begehen wir den Aufstellungsappell, gemeinsam mit dem Bundeskanzler. Bis 2027 wird die Brigade einsatzfähig sein. Es geht um Verteidigungsfähigkeit, und es geht um glaubwürdige Abschreckung. In Litauen zeigen wir: Sicherheit ist Teamarbeit, und die Nato ist auch zukünftig das verteidigungspolitische Team in Europa.

Im Juni werden wir die neuen Nato-Fähigkeitsziele kennen, und wir werden sie erfüllen. Deutschland wird vorangehen, weil wir es können und weil wir es müssen. Es liegt viel Arbeit vor uns. Aber Sie alle wissen: Sicherheit ist kein Selbstläufer. Sie ist ein Auftrag und eine Verpflichtung gegenüber unserem Land und seinen Menschen, gegenüber unseren Partnern, aber auch gegenüber der Truppe. Ich danke an dieser Stelle von ganzem Herzen allen Soldatinnen und Soldaten, die hier in Deutschland oder im Ausland bei Einsätzen der Vereinten Nationen ihren Dienst leisten und stets für unsere Sicherheit da sind.

Auch in dieser Wahlperiode wird entscheidend sein: Wir wissen, wo wir anpacken müssen, und wir haben jetzt die Werkzeuge dafür. Deutschland muss verteidigungsbereit sein: rechtlich, militärisch und gesellschaftlich. Daher bitte ich Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten, auch in dieser Legislaturperiode um Ihre Unterstützung. Gehen wir es an! Ich freue mich darauf, diesen Weg mit Ihnen gemeinsam zu gehen.

Danke schön. «


Quelle: Bulletin 34-5 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 15. Mai 2025

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