Veröffentlicht am: 07.10.2024 um 14:36 Uhr:
Fotografie: Stunde der Amateure
» Das hatte sich Mario Testino sicher anders vorgestellt. Da hat man sich über viele Jahre mühsam einen Ruf als Lieblingsfotograf der britischen Royals erknipst und dann passiert so etwas: Endlich gibt es mal einen veritablen Grund für ein schickes Portrait der jungen Royals mit dem neuen Prinzen-Baby. Und wer darf fotografieren? Nicht Mario, nicht Patrick Demarchelier und auch nicht Lord Snowdon. Opa Michael Middleton macht das Bild von seiner Tochter Kate, ihrem Willy und dem kleinen Prinzen höchstselbst. Ein simpler Amateur-Schnappschuss fürs Königreich und den Rest der Welt. Passt doch irgendwie in diese Zeit, in der Profis immer weniger gefragt sind. Die Chicago Sun Times entlässt kurzerhand alle Fotoreporter der Redaktion und bittet ihre Journalisten, künftig öfter mal Bilder mit dem Handy zu knipsen. Die Bild und andere Blätter sehnen sich nach Aufnahmen sogenannter Leserreporter, die Promis in möglichst peinlichen Situationen zeigen. Politische Ereignisse wie die "Arabellion" wären ohne Schnappschüsse der neuen, engagierten Citizen Reporter-Generation nicht denkbar. Und auf dem heimischen Bildermarkt schreibt heutzutage jede Firma mit ausgeprägtem Spartrieb Fotowettbewerbe aus, deren "Siegerfotos" anschließend die kostengünstige Basis für einer werbliche Vermarktung liefern. Amateure drängen selbstbewusst mit ihren Bildern und neuem Geltungsdrang auf den internationalen Fotomarkt. Microstock-Bildagenturen wie Fotolia schätzen sie als eifrige Motiv-Lieferanten, Profis fürchten sie als mächtige Billigkonkurrenz. Forciert wird die neue Situation im News-Sektor durch neue Lücken im medialen Qualitätsbewusstsein. Da wird eben zugunsten eines vermeintlichen Coups schnell mal auf die Recherche über die Zuverlässigkeit einer Bildquelle verzichtet. Und ein wenig Unschärfe verstärkt nur den Live-Charakter der Aufnahme. Wie können Profis auf diese Entwicklung reagieren? Mit einem unverkennbar individuellen Abbildungsstil, journalistischer Gründlichkeit bei der Arbeit und echten Alternativen zum schnellen Schnappschuss. «
Quelle: Kolumne "Zollners Zeilen" im fotoMAGAZIN 11/2013